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Corona auf Flugzeugträger Charles de Gaulle: Schwimmender Laborversuch

April 21
13:12 2020

Auf dem französischen Flugzeugträger "Charles de Gaulle" ist mehr als die Hälfte der Crew mit dem Virus infiziert. Soldaten erheben Vorwürfe. Wissenschaftler leiten unterdessen aus dem Fall neue Erkenntnisse ab.

Wenn Flugzeugträger nach monatelanger Mission wieder im Hafen anlegen, stehen normalerweise fröhlich winkende Familien am Quai, küssen Ehefrauen und Freundinnen die Rückkehrer in Uniform. In Frankreich erklingt dann irgendwann auch noch die Marseillaise. Normalerweise.

Als der Flugzeugträger "Charles de Gaulle", nuklear angetriebener Stolz der französischen Marine, am Ostersonntag im Militärhafen von Toulon anlegte, küsste niemand die Soldaten.

Denn 1046 der insgesamt 1760 Besatzungsmitglieder trugen das Covid-19-Virus in sich, das entspricht einer Rate von knapp 60 Prozent. Infiziert hatten sich die Männer an Bord, trotz aller Sicherheitsmaßnahmen.

Alle positiv getesteten Soldaten befänden sich seither unter medizinischer Beobachtung, erklärte der Stabschef der Marine, Admiral Christophe Prazuck, am vergangenen Wochenende.

Alle anderen hätten sich auf Anordnung in eine 14-tägige Isolation begeben, sie seien in Militäreinrichtungen im Süden in Einzelzimmern untergebracht worden. Zwei infizierte Soldaten sind in einem kritischen Zustand, liegen auf Intensivstationen und müssen beatmet werden.

Haben die Verantwortlichen fahrlässig gehandelt?

Am Samstag hatte der Marinegeneral François Lecointre im französischen Fernsehen erstmals Versäumnisse im Umgang mit dem Virus eingestanden: "Ich glaube nicht, dass die Regeln, die wir angewendet haben, angesichts des Wissens, über das wir heute verfügen, tatsächlich ausreichend waren", sagte er.

Das Verteidigungsministerium hat inzwischen eine Untersuchung der Vorgänge an Bord der "Charles de Gaulle" angeordnet. Sie soll klären, ob die Verantwortlichen nach den ersten Infektionsfällen fahrlässig gehandelt haben, ob es vielleicht sogar Versuche gab, die Krankheitsfälle zu vertuschen. Eine zweite Untersuchung soll den Weg des Virus an Bord ermitteln.

Am 16. März hatte Präsident Emmanuel Macron in einer Fernsehansprache an die Nation erklärt: "Wir sind im Krieg", im Krieg gegen dieses Virus. Es war der Versuch, den Franzosen mit martialischen Worten den Ernst der Lage zu vermitteln und zugleich demonstrativ den Kampf gegen Covid-19 aufzunehmen.

Dass die Pandemie nun ausgerechnet die Besatzung des imposantesten und teuersten Kriegsschiff Europas außer Gefecht setzte, gehört zu den absurden Randaspekten dieser Krise.

Die "Charles de Gaulle" hatte ihren Heimathafen am 21. Januar 2019 verlassen. Sie lief aus, um an der "Operation Chammal" gegen die Terrormiliz "Islamischer Staat" teilzunehmen; vom französischen Flugzeugträger wurden unter anderem Einsätze in Syrien und Libyen geflogen.

Mitte März dieses Jahres legte sie einen Zwischenstopp in Brest an der Atlantikküste ein. Die Mission stand kurz vor ihrem Ende. Angesichts der zunehmenden Coronafälle im Land wurden die üblichen Familienbesuche an Bord des Flugzeugträgers abgesagt. Aber die Soldaten erhielten die Erlaubnis, an Land zu gehen.

Wahrscheinlich eine fatale Entscheidung. Außerdem kamen 52 neue Besatzungsmitglieder an Bord, bevor die "Charles de Gaulle" am 16. März wieder ablegte. Am selben Abend verkündete Macron den Franzosen eine zunächst vierzehntägige Ausgangssperre.

Er erklärte ihnen ausführlich, wie sie sich die Hände zu waschen hätten und welchen Sicherheitsabstand sie einhalten müssten. Verhaltensregeln, die auch für die Soldaten galten.

Aber im Inneren des riesigen Flugzeugträgers ist es verdammt eng: Die Männer schlafen in Stockbetten, teilweise stehen bis zu zwanzig davon in einer Kabine. Auf den Fluren und Treppenleitern der "Charles de Gaulle" ist der Sicherheitsabstand rein technisch kaum einzuhalten. Wer auf den steilen Treppenaufgängen von Deck zu Deck unterwegs ist, muss sich dabei ständig an den Handläufen festhalten, um nicht zu stürzen.

Der Kommandant der "Charles de Gaulle" hält in diesen Märztagen trotz allem an der Weiterfahrt fest und schreibt am 20. März einen Brief an die Familien der Soldaten: "Der Flugzeugträger bleibt im Einsatz, um die Interessen Frankreichs zu verteidigen und unsere Entschlossenheit zu zeigen, gemeinsam mit unseren Alliierten zu handeln."

Wenig später werden erste Soldaten in die Krankenstation des Kriegsschiffes eingeliefert. Sie hätten zu dem Zeitpunkt aber keine Symptome von Covid-19 gezeigt, wird es später heißen.

Anfang April befinden sich laut Schilderungen von Soldaten, die an Bord waren, bereits 40 Männer in Isolation. Man bringt sie im vorderen Teil des Flugzeugträgers unter. Die Unruhe an Bord nimmt zu.

Einige Offiziere hätten sich schon zu diesem Zeitpunkt geweigert, die erforderlichen Fluggenehmigungen zu unterschreiben, um ein Ende der Mission zu erzwingen. So wird es in der Tageszeitung "Le Monde" geschildert, die am Wochenende die Ereignisse auf der "Charles de Gaulle" zu rekonstruieren versuchte.

Die Operation geht trotzdem weiter. Erst am 5. April ändert sich die Lage. An diesem Tag analysieren Ärzte Lungenaufnahmen, die von zwei Soldaten in der Bordklinik gemacht und aufs Festland geschickt wurden. Die Ärzte schlagen Alarm, vieles deutet auf Covid-19 hin.

"Wenn wir Tests an Bord gehabt hätten"

Von nun an gibt es täglich mehr Fälle, aber noch immer keine Tests, um die Anzahl der Infizierten festzustellen. "Wenn wir Tests an Bord gehabt hätten", so gestand Christophe Prazuck, der Stabschef der Marine am Sonntag ein, "hätten wir das Ausmaß der Infektion wahrscheinlich eher ermessen können und die Geschichte wäre vielleicht anders ausgegangen."

Am 7. April wird die Verteidigungsministerin von den Erkrankungen informiert. Am 8. April fliegt ein Ärzteteam per Hubschrauber zur "Charles de Gaulle" und führt 60 Tests durch. Das Ergebnis: Fünf Soldaten sind positiv. Die Ministerin ordnet den sofortigen Abbruch der Mission an. Fünf Tage danach legt der Flugzeugträger in Toulon an.

"Die Armee hat mit unserer Gesundheit und unserem Leben gespielt", sagt kurz später ein Besatzungsmitglied dem Radiosender France bleu. Der Mann, der selbst positiv getestet wurde, befindet sich derzeit in Isolation in einer Kaserne an der Côte d'Azur.

Es habe den Vorschlag eines Kommandanten gegeben, die Operation abzubrechen, als man in Brest war, so erzählte der Soldat es gegenüber dem Radiosender, aber das Verteidigungsministerium habe das abgelehnt. Das Ministerium bestreitet die Vorwürfe und verweist auf die laufenden Untersuchungen. Sie werden wohl noch Monate andauern.

Mittlerweile hält auch die Armeeführung den Landgang im bretonischen Brest für kritisch; als bisher wahrscheinlichste Variante gilt, dass sich einer oder mehrere Soldaten hier mit dem Virus infizierten. Dies soll nun eine zweite Untersuchung klären.

Wissenschaftler leiten unterdessen aus dem unfreiwilligen schwimmenden Laborversuch neue Erkenntnisse ab. Denn mehr als die Hälfte der 1046 infizierten Soldaten zeigten keine oder nur sehr schwache Symptome. Eine ähnliche Beobachtung haben auch die Amerikaner gemacht, die auf ihrem Flugzeugträger "USS Theodore Roosevelt" mit Hunderten Infektionen zu kämpfen haben.

"Das bedeutet, dass es wahrscheinlich eine nicht zu vernachlässigende Zahl an asymptomatischen Krankheitsverläufen gibt, die vor allem jüngere Bevölkerungsschichten betreffen", sagt Jean-François Delfraissy, Präsident des wissenschaftlichen Rates zur Coronakrise.

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