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Barack Obama will in Chicago ein Zentrum eröffnen – es gibt Klagen und Proteste

July 13
00:21 2020
Ein Bild aus einer anderen Zeit: Michelle und Barack Obama 2012 im Wahlkampf Icon: vergrößern

Ein Bild aus einer anderen Zeit: Michelle und Barack Obama 2012 im Wahlkampf

Foto: Carolyn Kaster/ AP

Weniges wird in den USA so hoch geschätzt wie die Kunst, eine gute Geschichte erzählen zu können, und kaum jemand beherrscht diese Kunst so perfekt wie Michelle und Barack Obama.

Die frühere First Lady hat bereits einen Weltbestseller geschrieben, "Becoming", ihre Autobiografie. Die seit Langem angekündigten Memoiren des Ex-Präsidenten werden ein globales Ereignis sein.

Vor ein paar Wochen setzten sich die Obamas vor ein weißes Regal und lasen aus einem Kinderbuch vor, sorgfältig inszeniert wie immer: "Ich liebe Wörter", sagte der Vorgänger von Donald Trump. Seine Frau erzählte von ihrem ersten Besuch in einer Bücherei, von ihrem Leihausweis, der ihr "die Welt des Wissens und der Erfahrungen geöffnet" habe.

Die eigentliche Botschaft aber hieß: "Wir werden eine neue Zweigstelle der öffentlichen Bibliothek von Chicago im Obama Presidential Center einrichten." Eingeblendet wurde dazu eine virtuelle Innenansicht mit vielen glücklichen Kindern.

Eine gute Geschichte, wieder einmal. Aber wie geht sie weiter?

Noch weiß niemand, wann der versprochene Lesesaal seine Türen öffnen wird. Das Obama Presidential Center wurde zwar schon vor einigen Jahren geplant, während der zweiten Amtszeit des 44. US-Präsidenten. Auf dem vorgesehenen Gelände in Chicago ist es jedoch bis heute nicht einmal zum ersten Spatenstich gekommen.

Für die Eröffnung nennt die Obama-Stiftung kein Datum

Gegen die Errichtung des rund 500 Millionen Dollar teuren Gebäudekomplexes gibt es massiven Widerstand in der Stadt, die mehr als jede andere die Heimat der Obamas ist.

Mit so viel Gegenwehr haben sie nicht gerechnet. Schon in diesem Jahr, spätestens 2021, sollte nach den ursprünglichen Plänen die Eröffnung gefeiert werden. Inzwischen nennt die Obama-Stiftung, die das Bauprojekt leitet, kein Datum mehr.

Michelle Obama, geborene Robinson, wurde in der überwiegend von Schwarzen bewohnten South Side groß und war in der City von Chicago eine erfolgreiche Rechtsanwältin. 1992 heiratete sie den Mann, der drei Jahre vorher ein Praktikum bei ihr gemacht hatte und sich neben der Juristerei als Sozialberater in benachteiligten Stadtvierteln engagierte.

Darum ist es kein Zufall, dass das architektonische Vermächtnis des auf Hawaii geborenen Präsidenten in der South Side von Chicago stehen soll. Präsidentenbibliotheken gibt es in den USA viele seit der Amtszeit von Franklin D. Roosevelt, sie sind eine Mischung aus Archiv, Forschungsstelle und Gedenkstätte.

Das Obama-Zentrum soll anders sein, etwas ganz Besonderes.

In ihrem Programm verkündet die Präsidentenstiftung: Das Zentrum werde "die Geschichten derer ehren, die uns dorthin gebracht haben, wo wir heute sind." Und man wolle "Menschen zusammenbringen, um eine noch bessere Zukunft zu entwerfen." Da kann sich jeder angesprochen fühlen, in der South Side, in Chicago, überall.

Der hohe Ton steht im Missverhältnis zur Realität

Den jährlich rund 800.000 Besuchern soll ein "Weltklasse-Museum" geboten werden, dazu eine Bibliothek, ein Sport- und Freizeitpark, eine Gartenanlage mit Naturpfaden, ein großer Spielplatz. Die Obamas, die so vieles erreicht haben, "wollen etwas zurückgeben", und deshalb gehe es noch um mehr. Um einen Ort, "an dem du nachdenken und wachsen, dich einbringen und kreativ sein kannst – und hoffentlich deine eigenen Ziele entdeckst und erkundest".

Der hohe Ton dieser Projekt-Prosa steht jedoch in einem argen Missverhältnis zur Realität, mit der die Obama-Stiftung sich abmühen muss.

Viele Nachbarn in der South Side von Chicago trauen den Versprechungen nicht. Sicher, sie haben gehört, was ihnen die Obamas und ihre Leute schon viele Male erzählt haben: Dass der vernachlässigten Gegend nichts Besseres passieren kann als die Errichtung eines so strahlenden Ensembles. Dass dadurch 2000 Arbeitsplätze entstehen. Dass das Zentrum in den ersten zehn Jahren nach Eröffnung drei Milliarden Dollar für Stadt und Umland erwirtschaftet.

"Wir wissen, dass die Gentrifizierung kommen wird"

Trotzdem fürchten die Skeptiker, dass ihnen das Glitzerprojekt vor ihrer Haustür eher schaden wird – vor allem durch steigende Mietpreise. Mehrere Bürgerinitiativen üben deshalb erheblichen Druck aus, etwa mit Sit-ins vor dem Büro der Bürgermeisterin von Chicago.

"Wir wissen, dass die Gentrifizierung kommen wird", sagte die Aktivistin Ebonée Green vor Kurzem der "Chicago Tribune". Vermutlich hat sie recht. In Immobilienanzeigen wurde bereits mit der Nähe zum Obama-Zentrum geworben. Green sagt: "Wenn wir über Gewalt gegen schwarze Menschen reden, dann geht es nicht bloß um Polizeigewalt. Es geht um Gewalt durch Verdrängung." Von der Bürgermeisterin verlangt sie konkrete Programme, die dauerhaft für bezahlbaren Wohnraum in den angrenzenden Quartieren sorgen.

Das größte Problem, mit dem es die Obamas beim Bau ihres Zentrums zu tun haben, sind allerdings nicht die besorgten Nachbarn. Das größte Problem ist Herbert Caplan.

Schwierigster Gegner ist ein selbst ernannter "Kreuzzügler"

Caplan ist ein Parkschützer, vor einigen Jahren hat er in Chicago die Organisation Protect Our Parks gegründet. Auf Twitter charakterisiert er sich so: "Kreuzzügler auf meine alten Tage".

Weil das Obama-Zentrum im Jackson Park, einer geschützten Grünanlage am Ufer des Michigansees gebaut werden soll, fühlte sich Caplan berufen, dagegen anzukämpfen. Er suchte sich einen guten Anwalt, einen emeritierten Juraprofessor und früheren Kollegen Barack Obamas an der University of Chicago. Und zog vor Gericht.

Juristischer Gegner ist dort nicht die Obama-Stiftung, sondern die städtische Parkbehörde. Caplan findet, dass die Parkbehörde öffentliches Land verschleudert habe, als sie das Grundstück im Jackson Park dem Obama-Zentrum zur Verfügung stellte. Die Pacht für 99 Jahre beläuft sich auf zehn Dollar.

Während der Rechtsstreit dauert, kann nicht gebaut werden

Die Begründung der Stadt für diesen symbolischen Betrag lautet: Der Gebäudekomplex diene in vielerlei Hinsicht dem öffentlichen Interesse.

Caplan hält dagegen, es handele sich um einen Präzedenzfall. "Sollte ein späterer Bürgermeister entscheiden, dass er ein Disneyland auf den städtischen Badestrand stellen will, dann könnte er es tun." Sein Anwalt meint, die Pacht für das Gelände im Jackson Park müsse "mindestens eine halbe Milliarde Dollar" betragen. Die Klage von Protect Our Parks, die vor einem Jahr in erster Instanz abgewiesen wurde, ist nun beim Berufungsgericht anhängig.

Während der Rechtsstreit dauert, kann nicht gebaut werden. Der Streit kann sehr lange dauern. Denn der selbst ernannte Kreuzzügler Caplan zeigt sich entschlossen, alle Mittel auszuschöpfen. "Wir werden nicht einfach einknicken", sagt er.

Das Zentrum könne "überall auf der Welt stehen", meint Michelle Obama

Der Chicagoer Rechtsprofessor Lior Strahilevitz verfolgt den Prozess genau. Er vermutet, dass bis zur Entscheidung des Berufungsgerichts "mehrere Monate" vergehen werden. Anschließend seien "weitere juristische Verfahren" bis hinauf zum Obersten Gerichtshof der Vereinigten Staaten möglich, ganz gleich, wer gewinnt. Strahilevitz hält es für vorstellbar, "dass die Obama-Stiftung sich dazu entschließen könnte, das Zentrum in einer anderen Stadt zu bauen".

Den Obamas ist dieser Gedanke vertraut. Auf einer Tagung ihrer Stiftung im vergangenen Herbst sagte Michelle, es gebe so viele Menschen, für die Barack "ihr Präsident" sei, darum könne das Zentrum "überall auf der Welt" stehen. "New York wollte es haben, Hawaii will es haben. Weil es auch ein wirtschaftlicher Motor ist."

Der Beweis dafür muss noch erbracht werden. Einstweilen droht das hochfliegende Projekt zu einer unendlichen Geschichte zu werden. Und niemand kann sagen, ob diese Geschichte der Obamas ein Happy End haben wird.

Icon: Der Spiegel

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