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Australien, China und der Klimawandel: Wo heute schon morgen ist

July 12
21:04 2020
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Sonnenuntergang in Sydney: Australien ringt mit China und dem Klima

Foto: Prasit photo/ Moment RF/ Getty Images

Einige der Beamten trugen Uniformen, andere dunkle Anzüge und Gummihandschuhe. An einem Freitagmorgen Ende Juni durchsuchten australische Ermittler das Haus des Labor-Politikers Shaoquett Moselmane in Sydney. Der Abgeordnete im Parlament des Bundesstaats New South Wales, der als China-nah gilt, streitet sämtliche Vorwürfe ab; er selbst stehe nicht unter Verdacht, die Ermittlungen richteten sich gegen andere.

Die Behörden gehen sparsam mit Einzelheiten um. Eines aber steht fest: Es geht um eine mögliche Einflussnahme Pekings, der Inlandsgeheimdienst Asio ist mit der Untersuchung befasst.

Vor zwei Jahren verabschiedete Australien umfassende neue Spionagegesetze. Ihrem Wortlaut nach richten sie sich gegen ausländische Einflussnahme im Allgemeinen. In Wahrheit hatten die Macher bei der Konzeption aber vor allem eine fremde Macht vor Augen: China.

China spricht von einer "Mentalität des Kalten Krieges"

Die Maßnahmen sollen Versuche Pekings unterbinden, durch Geldflüsse, Versprechungen und Druck auf Gesetzgeber politische Entscheidungen in Australien im eigenen Sinn zu formen. Schon im Zuge der Verabschiedung der Gesetze im Sommer 2018 sprach der chinesische Botschafter von einer "Mentalität des Kalten Krieges", die die Beziehungen zwischen den beiden Ländern belaste. Seitdem haben die Spannungen noch einmal deutlich zugenommen.

Australien steht vor zwei Herausforderungen, die in den kommenden Jahrzehnten die Welt und die Weltpolitik noch stärker prägen dürften, als sie es bereits tun: der Aufstieg Chinas samt dem strategischen Wettbewerb mit den USA – und der Klimawandel. Schon heute müssen sich Staaten und Gesellschaften in so gut wie allen Regionen der Erde zu beiden Fragen verhalten. In Australien aber ist die Entwicklung weiter fortgeschritten als vielerorts, die Lage drängender.

Da ist zunächst das Verhältnis zu China. Dieses sei während der Corona-Pandemie in eine neue Phase getreten, sagt Clive Hamilton dem SPIEGEL. Der australische Intellektuelle, der sich in seinen Büchern sowohl mit den Beziehungen zu China als auch mit dem Klimawandel befasst, meint damit die Forderung der australischen Regierung nach einer unabhängigen Untersuchung des Seuchenausbruchs in Wuhan – und die Maßnahmen, die Peking daraufhin verfügte: 80 Prozent Zoll auf australische Gerste, einen Einfuhrstopp für Rindfleisch aus vier australischen Schlachthöfen. Chinas Bildungsministerium riet Studenten vom Besuch australischer Universitäten ab, das Tourismusministerium rief eine Reisewarnung für Australien aus, angeblich weil Chinesen dort rassistische Übergriffe drohten.

Wie Europa und die USA muss auch Australien in seinem Umgang mit China wirtschaftliche Interessen und demokratische Werte in Einklang bringen. Dabei galt lange die Losung: gemeinsam reich werden. China wuchs zur zweitgrößten Volkswirtschaft der Erde; Australien lieferte Eisenerz, Kohle und Gas – und wuchs ebenfalls.

Seit einigen Jahren aber bricht sich in der öffentlichen Meinung in Australien die Überzeugung Bahn, dass Chinas wirtschaftlicher Aufstieg mit einem politischen Hegemonialstreben einhergeht, das die eigenen Werte bedroht. Unter Staatschef Xi Jinping tritt das Riesenreich in der Indo-Pazifik-Region zunehmend aggressiv auf.

In Australien selbst weitete es seinen Einfluss in Wirtschaft, Politik und an den Universitäten über die Jahre aus. Zwei von fünf ausländischen Studenten an den Hochschulen kommen aus China. Sie sind nicht nur ein Wirtschaftsfaktor, sondern prägen auch die politische Debatte – bisweilen, indem sie Pro-Hongkong-Demonstranten auf dem Campus niederbrüllen. Aktivisten an den Universitäten berichteten von Personen mit Verbindungen zu Chinas diplomatischen Vertretungen, die ihnen angeblich nachstellten. Meldungen der Geheimdienste über Agententätigkeiten und politische Einflussnahme mehrten sich; Peking stritt stets in scharfem Ton ab.

Australien reagierte auf diese Entwicklung mit einer Reihe von Maßnahmen: Kurz nach der Ausweitung der Gesetze gegen Spionage und Einflussnahme schloss es die chinesischen Konzerne Huawei und ZTE vom Bau seines 5G-Netzwerks aus. Schon vor der Coronakrise wurde das Land zu einer Art Vorreiter, wenn es darum ging, dem chinesischen Machtanspruch zu trotzen. Berichten zufolge geschah dies auch auf drängen von US-Offiziellen, die das Land gleichsam als Testfall sehen: als einen Verbündeten, der nahe genug an Peking dran ist, um zu verdeutlichen, was auf andere zukommen könnte.

Die Pandemie und das jüngst in Kraft getretene sogenannte Sicherheitsgesetz für Hongkong treiben diese Entwicklung weiter voran.

  • Der konservative Premier Scott Morrison kündigte jüngst Milliardeninvestitionen in militärische Ausrüstung an.

  • Er setzte zudem eine Auslieferungsvereinbarung mit Hongkong aus. Gefährdeten Bürgern der früheren britischen Kronkolonie will seine Regierung Sondervisa und einen Weg hin zu einer dauerhaften Aufenthaltsgenehmigung anbieten.

  • Schließlich will Morrison mindestens 500 neue Cyberspione rekrutieren. Zwei Wochen vor der Ankündigung hatten die Sicherheitsbehörden des Landes mal wieder eine Cyberattacke gemeldet; diese hätte sich gegen mehrere Organisationen in Politik und Privatsektor gerichtet und ginge auf das Konto eines "hochentwickelten staatlichen Cyberakteurs". Kaum jemand zweifelte daran, wer gemeint war.

"Das andere Hindernis sind die USA unter Donald Trump"

Einen weiteren Pfeiler der künftigen China-Politik sieht die australische Führung in regionalen Partnerschaften. Ein kürzlich verkündetes Abkommen mit Indien garantiert beiden Ländern die wechselseitige Nutzung ihrer Militärbasen. Auch das "Quad" genannte informelle Forum, an dem neben Australien und Indien auch Japan und die USA beteiligt sind, könnte künftig an Bedeutung gewinnen.

Derzeit sei diese lose Gruppierung weit davon entfernt, sich zu einem formellen Bündnis zu entwickeln, sagt Clive Hamilton. Das liege zum einen daran, dass Indien traditionell Allianzen jeglicher Art widerstrebten. "Das andere Hindernis sind die USA unter Donald Trump, der im Grunde Amerikas traditionelle Bündnisse über den Haufen geworfen hat." Die harte Linie von Premier Morrison lobt Hamilton dagegen: "Selbst als jemand, der politisch links steht, muss ich sagen: Die konservative Regierung verfolgt genau den richtigen Ansatz."

Deutlich kritischer sieht Hamilton hingegen die Rolle der australischen Regierung bei der anderen großen Herausforderung: dem Klimawandel. Hier hinke die Führung des Landes nicht nur den Regierungen auf Bundesstaatsebene hinterher, sondern auch der Privatwirtschaft.

Die Coronakrise hat Gesellschaften auf der ganzen Welt eine neue Normalität aufgezwungen. Für Australien aber ist sie nur eine von zwei Zäsuren binnen kürzester Zeit. In der zweiten Hälfte des vergangenen und in den ersten Wochen des laufenden Jahres wüteten im Land Buschfeuer apokalyptischen Ausmaßes.

Der heißeste und trockenste Sommer seit Beginn der Wetteraufzeichnung führte in Verbindung mit starken Winden zu einer Brandsaison, die eine Fläche von der Größe Bulgariens verheerte. Bilder von ascheübersäten Stränden und Koalas mit Brandwunden gingen um die Welt; der Rauch färbte zwischenzeitlich selbst den Himmel über Neuseeland. Wissenschaftler kamen zu dem Schluss, dass der Klimawandel die Wahrscheinlichkeit und Intensität der Buschbrände deutlich erhöht habe.

"Unter allen entwickelten Ländern ist Australien am akutesten vom sich wandelnden Klima betroffen", sagt Clive Hamilton. Er verweist auf die Massenbleichen im Great Barrier Reef, extreme Dürreperioden und Überschwemmungen im Norden des Landes.

Die vergangene Brandsaison hat das Bewusstsein der Nation, die so viel Kohle exportiert wie keine andere auf der Welt, offenbar gewandelt. Premier Morrison wurde wegen seines Umgangs mit der Krise heftig kritisiert. 72 Prozent aller Australier sehen den Klimawandel einer Umfrage zufolge inzwischen als Problem, das sie persönlich betrifft. Und selbst Wirtschaftsverbände fordern Klimaneutralität bis zum Jahr 2050.

57 Prozent aller Australier waren laut einer Umfrage direkt von den Buschbränden beziehungsweise dem von ihnen ausgehenden Rauch betroffen. Die Tourismusbranche wurde hart getroffen. Längerfristig rechnet der unabhängige Climate Council mit erheblichen Verlusten in der Landwirtschaft; auch beim Wert der Immobilien seien in den kommenden Jahrzehnten Einbußen von mehreren Hundert Milliarden Australischer Dollar zu erwarten.

Den Interessen der Kohleindustrie stehen zunehmend nicht nur ökologische Interessen gegenüber – sondern auch wirtschaftliche.

Icon: Der Spiegel

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