Aus der Schmoll-Ecke: Wenn Vodafone der toten Mutter schreibt
Panorama

Manchmal möchte man schreiend weglaufen.
Der Energieversorger schreibt: "Ihr Zählerstand ist nicht eindeutig". Nicht mal eine Stunde später kommt: "Ihren Zählerstand haben wir erhalten." Was denn nun? Der technische Fortschritt hat seinen Preis – und seine Auswüchse. Unser Kolumnist erlebt sie jede Woche. Er fühlt sich dumm und überfordert.
Endlich gibt es jemanden auf der Welt, der weiß, wie ich mich fühle. Neulich tummelte ich mich in der "Community", der "Gemeinde", von Microsoft, obwohl ich dort keinen Menschen und kein Schwein kenne. Ich fand aber einen Leidensgenossen, der so arm dran war oder ist, wie ich es bin. "Ständig Kontofehler in MS Word (Microsoft 365)", schrieb er Hilfe suchend. Wie ich starrte er Tag für Tag auf die Mitteilung: "Melden Sie sich erneut an, um das Problem zu beheben." Tue ich – und komme mir dabei strunzdumm und überfordert vor.
Ich werde wahnsinnig, weil ich null Ahnung von IT und nicht die Zeit habe, so einer Sache stundenlang nachzugehen. Mir bleibt nichts weiter übrig, als mich tapfer immer wieder anzumelden. Immer wieder. Immer wieder. In der vagen Hoffnung, dass das Wunder geschieht und der Fehler von allein verschwindet. Ich tröste mich damit, dass ich nicht der einzige Dummbatz auf dem Planeten namens Erde bin. Denn in der "Gemeinde" von Microsoft verkünden auch andere: "Ich habe seit einigen Tagen auch das gleiche Problem. Bislang ist das Problem bei mir ebenfalls ungelöst."

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Ein Mitarbeiter von Microsoft hat mir/uns kurz Hoffnung gemacht. Er, offenbar ein Zeitreisender aus dem 19. Jahrhundert, schrieb meinem Leidensgenossen in altertümlichem und nicht ganz astreinem Deutsch: "Ich stehe Ihnen voll und ganz zur Seite, wenn ich weiß, dass Sie Probleme bei der Verwendung von Office haben und wiederholt aufgefordert werden, sich anzumelden, und ich verstehe, wie Sie sich fühlen." Wunderbar, er versteht mich. Er weiß, wie elendig ich mich fühle. Wie beruhigend. Wenn ich weiß, dass Mitarbeiter von Microsoft komisches Zeug in ein Forum schreiben, verstehe ich auch, wie sie sich fühlen: elendig.
Der Zeitreisende teilte meinem Leidensgenossen mit, dass auch andere unter der ewigen Anmelderei leiden: "Wir haben auch um Feedback zu diesem Fehler gebeten." Prima, Microsoft, dass man mitmachen darf, euren Mist zu reparieren. "Während wir warten, empfehlen wir Ihnen, Folgendes auszuprobieren, und wir werden Sie so schnell wie möglich informieren, wenn Sie nachträgliche interne Aktualisierungen vornehmen, und uns mitteilen, ob Sie auf dem Weg dorthin Erkenntnisse haben."

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Was ist schon normal?
Wir, die Bewohner der virtuellen "Gemeinde", warten also. Aber auf was? Eine Eingabe? Auf Godot? Ein Millionenerbe? Außerirdische? Den Tod? Versteh ich das richtig? Wem das Warten zu lang wird, der kann interne Aktualisierungen vornehmen und auf dem Weg zu Godot, dem Millionenerbe, den Außerirdischen oder dem Tod Microsoft irgendwelche Erkenntnisse mitteilen? Supi.
Kleiner Tipp: Probiert mal, nicht ganz so dämliches Zeug zu schreiben, damit sich niemand verscheißert fühlt. Da hilft auch nicht der Hinweis: "Diese Antwort wurde automatisch übersetzt. Daher kann es zu grammatikalischen Fehlern oder seltsamen Formulierungen kommen." Zumindest das ist inhaltlich korrekt und in astreinem Deutsch formuliert. Wenig hilfreich – zumal in Gaga-Deutsch – waren die Hinweise, das Anmelde-Problem, das – man ahnt es schon – "wahrscheinlich durch einen Office-Lizenzkonflikt verursacht" wird, zu beheben. "Löschen Sie alle Office-bezogenen Anmeldeinformationen, und melden Sie sich erneut bei Office an, um zu überprüfen, ob dies normal ist."
Nee, das ist nicht normal. Das ist gaga. Aber was ist heutzutage schon normal?! "Hallo Gertrud", schrieb Vodafone kürzlich meiner Mutter in einem Brief im vertrauten Du: "Bisher hast du die Kosten für den Kabel-TV-Anschluss über Deine Nebenkosten bezahlt. Der Gesetzgeber hat das geändert." Nun überlege ich, wie ich das Schreiben auf die Wolke bringen lassen könnte, auf der meine Mutter auf uns niederschaut, wie wir mit den Auswüchsen des technischen Fortschritts kämpfen. Sie starb im Sommer 2019 als Uroma mit 92 Jahren in einem Pflegeheim. Immerhin hat die Post den Nachsendeauftrag nicht vergessen. Gibt es einen in den Himmel?

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Ich bin aber auch selbst schuld – und wohl zu gut für die Welt des Gaga-Kapitalismus. Einem Unternehmen schickte ich eine Mail, dass es in einem bestimmten Satz in einer Werbung ein Komma einfügen sollte, damit eventuelle Kunden, die das wie mich störte, nicht abschreckt. Das war freundlich gemeint. Die Antwort: "Vielen Dank für Ihre Anfrage. Leider können wir diese jedoch aus rechtlichen Gründen nicht bearbeiten, da Ihre Kontaktmöglichkeit, über die Sie uns kontaktiert haben, nicht bei uns im System hinterlegt ist. Die Identifizierungsdaten sind personenbezogen und dienen der Identifizierung unseres Vertragspartners."
Versuchen Sie es nochmal
Okay, das sehe ich ein. Bei der Problematik kommt es nun mal nicht auf Punkt und Komma an. Anders als beim Stromzählerstand daheim. Meinen teilte ich meinem Energieversorger wie gewünscht in einer Mail via Beweisfoto mit, der Stand der Dinge war klar abzulesen. Das Bild war scharf, geradezu brillant. Ich bekam eine Mail: "Ihr Zählerstand ist nicht eindeutig". Wie jetzt? Nicht mal eine Stunde später kam: "Ihren Zählerstand haben wir erhalten." Wie jetzt? Deshalb schrieb ich am selben Tag, welche der Mails nun gilt. Die Firma reagierte: "Erinnerung: Ihr Zählerstand ist nicht eindeutig." Wie jetzt? Derweil durfte ich an einer Umfrage teilnehmen, wie zufrieden ich mit dem Service bei Vattenfall bin. Hahaha. Humor haben sie.

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Es gibt Unternehmen, die behaupten: "Lösen Sie Ihr Problem ganz einfach direkt im Chat." Magenta TV, das zur Telekom gehört, zum Beispiel. "Bitte bestätigen Sie uns, dass Sie den Datenschutzhinweis zur Kenntnis genommen haben und diesem zustimmen." Na klar doch. "Hallo Thomas Schmoll: Nun benötige ich noch den Grund Ihres Anliegens. Sie haben sich gerade über unser Angebot informiert. Daher vermute ich, Sie möchten zu einem Produkt beraten werden?" Nein, ich brauchte nur eine Auskunft. Ich wollte wissen, warum ich mich nicht einloggen kann, wenn ich VPN nutze. Meine Ansprechpartnerin schrieb: "Ich kann Ihnen gerne die Anmeldedaten zukommen lassen, dann versuchen Sie die Anmeldung nochmal mit den neuen Anmeldedaten."
Was?! He? Warum will sie mir "Anmeldedaten neu schicken"? Ich habe ja ein Passwort, komme nur nicht rein, wenn ich VPN laufen habe. "Ich bin eingeloggt. Kann aber nicht streamen, erst wenn ich VPN verlasse." Daraufhin fragte mich die Ansprechpartnerin. "Sind Sie noch hier?" Meine Antwort: "Ja." Bald darauf fragte ich: "Sind Sie noch da?" Das beantwortete sie nicht. Dafür ging sie zum Du über, jetzt, wo wir uns schon so lange und so gut kannten. Die Frau teilte mir mit, was ich nicht wissen wollte: "Du täuschst Dich, wenn Du annimmst, dass Du dann 'unerkannt' im Web unterwegs bist (das suggerieren die VPN Dienste zwar, das ist aber nicht so)." Aha. Soso. Ich schrieb: "Das mag sein. Ich sehe aber keinen Grund, Magenta TV nur nutzen zu können, wenn ich VPN verlasse. Also: Was kann ich tun?"
Ich wäre mit einer vernünftigen Erklärung zufrieden gewesen, ich wollte ja nicht damit nach Den Haag oder zu UNO. Ich erhielt nie eine Antwort, der Chat blieb stumm. Dafür traf die zweihunderttausendste Mail von LinkedIn ein. "LinkedIn funktioniert noch besser mit der App." Schön für LinkedIn.
Quelle: ntv.de