Armin Laschet: Er weiß, dass er nichts weiß – Kommentar
In den 80er Jahren endete der Titelsong der Kinderquizsendung "1, 2 oder 3" mit dem Satz "Ob ihr wirklich richtig steht, seht ihr, wenn das Licht angeht!". Die Spielenden verteilten sich dabei im mehr oder minder dunklen Studio auf Zahlenfelder, je nach Gutdünken, ob Antwort 1, 2 oder 3 die richtige sei. Dann hielt alles den Atem an, die Kinder im Fernsehen und die zuhause auch, und schließlich leuchtete die Nummer mit der richtigen Antwort auf.
Es könnte der Jingle dieser Tage und Wochen sein, und die Frage ist: Wann bitte geht das Licht an; wann also sehen wir, ob wir richtig stehen?
Mit unserer Meinung, aber auch mit dem, was wir da draußen machen. Ob sich also die Maßnahmen, die Bund und Länder in der Coronakrise ergriffen haben, als falsch oder als richtig erweisen, ob sie angemessen sind, waren oder sein werden. Wir, Bürger wie Politiker, wissen es nicht.
Dazu kommt: Das mit dem Licht, es kann noch dauern.
Was der landläufige und penetrante Terminus "Auf Sicht fahren" für einen Politiker bedeutet, noch dazu für einen mit konkreter Verantwortung – nämlich der für ein Bundesland – hat auf recht eindrucksvolle Weise Armin Laschet gezeigt, der Ministerpräsident Nordrhein-Westfalens, am Sonntagabend bei "Anne Will". Es bedeutet vor allem: vollendete Ungewissheit. Armin Laschet riss da nämlich für alle sichtbar ein bisschen die Hutschnur ob des Gewurschtels, dem sich die Politik bei Corona anheim gegeben hat, wahrscheinlich: anheim geben musste.
Lamento auf prominentem Sendeplatz
Laschet beschrieb also durchaus aufgebracht die sich wandelnden Zielvorgaben der Wissenschaft, denen die Politik mit ihren Entscheidungen irgendwie hinterher trapsen muss. Ausgehend von der Losung "auf jeden Fall die Katastrophe abzuwenden", also ein Bergamo in Deutschland zu verhindern, habe sich das Augenmerk erst auf die Verdopplungszahl gerichtet – so Laschet – die wiederum vom sogenannten R-Faktor abgelöst worden sei. Er ahne schon, fast rief der CDU-Politiker es, dass auch dieser bald keine Rolle mehr spiele und es dann nur noch "um wenige hundert Fälle" – Infektionen – gehen werde. Umwabert wurde das Ganze, das wissen wir, wir waren ja dabei, von unterschiedlichen Einschätzungen, etwa der Notwendigkeit, Masken zu tragen, oder Kitas und Schulen zu schließen.
"Wir sind darauf angewiesen, dass uns Virologen klugen Rat geben", sagte Laschet. Und fügte hinzu, dass es, wenn der sich ständig ändere, eben auch "für die Politik schwierig" sei.
Es war ein Lamento auf prominentem Sendeplatz, und natürlich bekam Laschet dafür sein Fett weg.
"Überfordert" wirke er, hieß es prompt. Und: So wird das nichts mit der Kanzlerschaft! Denn, so werden die Naiven unter uns belehrt von den Abgebrühten, die immer genau wissen, wie der Hase läuft: Laschets Auftritt folge einzig seinem Profilierungsdrang, dem Kalkül, sich vom Mitbewerber Söder abzusetzen, seinem großen Konkurrenten. Genau so wie er sich, jahrelang quasi Merkels Pudel, jetzt von der Richtlinie seiner Kanzlerin absetze.
Der zynische Blick durch die Machtbrille
Söder ist der Hardliner, die Speerspitze des Lockdowns, sein Land Vorreiter in Sachen Maskenpflicht. Laschet versuche jetzt also genau das Gegenteil, wolle der sein, der am meisten möglich macht, wird uns erklärt. Dass sich beide, Söder und Laschet, zum Beispiel für Bundesliga-Geisterspiele einsetzen, ist da irgendwie auch egal. Wer immer nur geradeaus durch die Machtbrille stiert, für den summiert sich letztlich alles zum hierarchischen Move.
Das ist nicht nur zynisch, sondern auch ein bisschen langweilig und sehr schablonenhaft.
Mindestens genauso gut kann man Laschet nämlich als den Politiker beschreiben, der eben auch als Ministerpräsident und Bürger, um nicht zu sagen: als Mensch, die widerstreitenden Stimmen in der Debatte repräsentiert. Einer Debatte, die nichts orgienhaftes an sich hat, sondern schlicht und einfach notwendig ist. Denn es gilt jetzt, das wissen wir mittlerweile wohl alle, neben dem wissenschaftlichen Standpunkt auch die sozialen Folgen unseres Tuns in die Gleichung miteinzubeziehen – genau wie die wirtschaftlichen Konsequenzen.
Dass die Gleichung dann komplizierter wird, nicht mehr so einfach oder gar alternativlos daherkommt, nichts anderes legt Laschet in seinen Ausführungen dar. Leben oder Tod, so einfach ist es – glücklicherweise – eben nicht.
Ungerechtfertigter Autoritäsglaube
Wenn dann hämisch eingeworfen wird, aber hey, Laschet müsse das doch alles im Griff haben, er sei doch schließlich Ministerpräsident – bitte, welcher Ministerpräsident hat denn alles im Griff? Aus diesem Anwurf spricht ein Autoritätsglaube, der zumindest im Augenblick durch nichts gerechtfertigt sein dürfte. Auch in bayerischen und baden-württembergischen Schulen wurde nicht vorausgedacht, auch hier gibt es Ungerechtigkeiten bei Ladenschließungen und -öffnungen. Das Kita-Problem, die Familienpolitik, wurde sozusagen bundesweit kläglich vernachlässigt, unter dem Primat des Kontaktverbots.
Jetzt also denjenigen abzuurteilen, der die Versäumnisse nachzeichnet – also die unerträgliche Floskel des "Auf Sicht Fahrens" für sich und sein Handeln aufdröselt – und damit auf fast seltsam ehrlich anmutende Weise das Dilemma, in dem die Politik gerade steckt, offenlegt, bringt nichts voran, ändert nichts an der schwierig-schwammigen Ausgangslage.