Gerhard Schröder auf Linken-Einladung im Wirtschaftsausschuss: Die Provokation

Linkenpolitiker Klaus Ernst, Altkanzler Gerhard Schröder: Bittere Erfahrungen
Kay Nietfeld/ dpa
Gerhard Schröder war ja schon vieles: Ministerpräsident, SPD-Vorsitzender, Bundeskanzler, Aufsichtsratsvorsitzender. An diesem Morgen im Saal 4.900 des Berliner Paul-Löbe-Hauses ist er offiziell "Sachverständiger".
Der Wirtschaftsausschuss des Bundestags ist zusammengekommen. Es geht um die drohenden neuen Sanktionen der US-Regierung gegen das Pipelineprojekt Nord Stream 2, mit dem Gas von Russland über Deutschland in die EU transportiert werden soll. Sie würden auch europäische und deutsche Firmen treffen.
In Berlin sehen viele in den amerikanischen Strafmaßnahmen einen Angriff auf die europäische Wirtschaft und Souveränität, um die eigene Rolle der USA als Gasexporteur zu stärken. Dazu soll Schröder sprechen.
Zu Beginn aber sieht sich der Altkanzler zu einer Rechtfertigung genötigt: "Übrigens bin ich hier nicht, um zu politisieren", sagt der 76-Jährige, "sondern weil Sie mich eingeladen haben."
Doch so einfach ist das nicht. Natürlich ist allein die Tatsache, dass Schröder hier sitzt, ein Politikum. Schließlich ist Schröder wahrlich nicht unbefangen beim Thema dieses Tages. Er ist bei der Nord Stream 2 AG, die dem russischen Staatskonzern Gazprom gehört, Präsident des Verwaltungsrats. Ebenso ist er Aufsichtsratschef beim russischen Ölkonzern Rosneft. Seine Freundschaft zu Russlands Präsident Wladimir Putin hat ihm hierzulande viel Kritik eingebracht.
Kann er als Experte auftreten? Im Wirtschaftsausschuss lassen mehrere Mitglieder ihren Unmut durchblicken.
"Kreml-Lobbyist", nennt der FDP-Politiker Reinhard Houben den Altkanzler.
Eine "gefärbte Meinung" zu Erdgas wirft ihm die Grünenabgeordnete Claudia Müller vor.
Vor allem aber ist Schröders Auftritt für viele Linke eine Provokation. Der frühere Spitzenpolitiker steht für so ziemlich alles, was die Partei ablehnt: Hartz IV, Kriegseinsätze, die Nähe zu Großunternehmern und Konzernbossen. Ohne Schröder und seine Agenda-Reformen hätte es die Linkspartei in ihrer heutigen Form nie gegeben.
Nur: Schröder bekommt nun die Bühne. Und das ausgerechnet auf Einladung aus der Linkspartei.
Schröder soll gegen Trump-Regierung austeilen
Ex-Parteichef Klaus Ernst, heute Vorsitzender des Wirtschaftsausschusses, hatte den Altkanzler gebeten, an der Gremiensitzung teilzunehmen.
Das Kalkül ist klar: Schröder soll mit seiner Prominenz für öffentliche Aufmerksamkeit sorgen und dann ordentlich gegen die Trump-Regierung austeilen. Und Schröder liefert. Die Amerikaner wollten den Europäern vorschreiben, was sie zu tun und zu lassen hätten, wettert er. Dann fordert er Gegensanktionen der EU.
Inhaltlich ist das ganz im Sinne der Linken. In der Ablehnung der US-Einmischung sind sich Schröder und die Linken einig. Und auch beim Faible für Russland gibt es Gemeinsamkeiten.
Dennoch ist für viele Genossen jegliche Zusammenarbeit mit dem Altkanzler tabu. Entsprechend groß ist die Aufregung, als zu Wochenbeginn die Nachricht von Schröders bevorstehendem Auftritt die Runde macht.
Bevor alles festgezurrt war, hatte Ernst nur wenige Genossen über sein Vorhaben eingeweiht, wohl wissend, dass andernfalls die Pläne wahrscheinlich zerredet worden wären. Die meisten in der Fraktion setzt er vor vollendete Tatsachen.
In der Sitzung des Bundestagslinken am Dienstag kommt es deshalb zum Streit. Einige verteidigen Ernst, man dürfe die Ausschussanhörungen nicht allein parteipolitisch sehen, heißt es. Von anderen kommt dagegen heftige Kritik.
Am lautesten protestiert der Klimapolitiker Lorenz Gösta Beutin. Noch während die Fraktion tagt, verschickt sein Büro eine Stellungnahme. Schröders Einladung "auf dem Linke-Ticket" sei "ein unnötiges Eigentor, auf allen Ebenen falsch und an Peinlichkeit nicht zu überbieten", heißt es darin. Sie stehe "gegen alles, was im Linke-Parteiprogramm steht" und sei "ein Affront für die Mehrheit der Mitglieder". Beutin fordert "eine interne Aufarbeitung des Vorgangs".
Grundsätzliche Auseinandersetzungen
Hinter dem jüngsten Zank stehen mit Sicherheit auch einige grundsätzliche Auseinandersetzungen: über das Verhältnis zu Russland, aber auch über den klimapolitischen Kurs der Linkspartei. Einige Genossen wollen noch stärker und schneller auf erneuerbare Energien setzen, mehrheitlich steht die Fraktion aber zur Erdgaspipeline aus Russland.
Auch anderswo sorgt die Linken-Aktion für Irritation, vor allem bei den Grünen.
Wenn "der Hass" auf SPD und Hartz IV von "der Liebe" zu Putin "überwunden wird", kommentiert Fraktionsvize Konstantin von Notz Schröders Benennung als Sachverständiger.
Ernst wiederum gibt sich ziemlich unbeeindruckt angesichts der jüngsten Vorwürfe, die Empörung einiger Genossen nimmt er in Kauf. Am Mittwoch begrüßt er Schröder im Wirtschaftsausschuss demonstrativ freundlich als "Bundeskanzler a.D." – kein Wort zum Moskau-Lobbyismus des früheren SPD-Chefs. Er freue sich "ganz besonders" über Schröders Kommen, sagt Ernst.
Das ist insofern auch bemerkenswert, da gerade Ernst zu jenen gehört, die persönlich mit Schröder bittere Erfahrungen gemacht haben. Ernst war einst selbst in der SPD. Als er als Reaktion auf den Sozialabbau unter Rot-Grün mit der Bildung einer neuen Partei gedroht hatte, warf ihn die Führung der Sozialdemokraten 2004 aus der Partei. Ernst gründete daraufhin die WASG mit, die später mit der PDS fusionierte. Daraus entstand die Linkspartei.
Doch Ernst zählt auch zu jener Sorte Politiker, die eine Chance zur öffentlichen Inszenierung gern nutzen und sich ebenso gern darüber freuen. "Das war ein gelungener Coup", sagt Ernst nach der Sitzung des Wirtschaftsausschusses dem SPIEGEL. "Die Vereinigten Staaten bedrohen die Souveränität der Bundesrepublik. Das muss noch mehr in den Fokus der Öffentlichkeit rücken. Das haben wir mit Gerhard Schröder geschafft."
Für die Kritik aus den eigenen Reihen hat Ernst dagegen wenig Verständnis. Schließlich habe er den Altkanzler ja nicht zu Hartz IV befragt, sondern zu einem Thema, bei dem Schröder "ähnlich tickt wie wir", sagt Ernst.
Die Spitzen von Partei und Fraktion hingegen schweigen zu alldem öffentlich sicherheitshalber. Die Frage, ob auch die Linke mal von Agenda-Kanzler Gerhard Schröder profitieren darf, bleibt bei den Genossen eine äußerst sensible Angelegenheit.
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