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Deutsche EU-Ratspräsidentschaft: Was auf Kanzlerin Angela Merkel zukommt

July 01
11:01 2020
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Kanzlerin Merkel

Markus Schreiber/ dpa

Die Kanzlerin greift, wie so oft, zu milder Untertreibung. "Die Erwartungen sind hoch", sagt Angela Merkel, als sie zu Wochenbeginn neben Emmanuel Macron auf dem Podium steht.

Frankreichs Präsident war nach Meseberg gekommen, um mit Merkel die EU-Ratspräsidentschaft zu besprechen, die Deutschland turnusmäßig an diesem Mittwoch übernimmt.

Die Erwartungen an die deutsche Kanzlerin könnten größer kaum sein:

  • Es geht um die Rückkehr Europas aus der Coronakrise;

  • um die Frage, ob und wie die EU zwischen den Weltmächten USA und China bestehen kann;

  • und nicht zuletzt darum, wie schwer der Brexit die europäische Wirtschaft zusätzlich schädigen wird.

Merkel, Macron und EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen, das ist die Hoffnung, sollen Europa den Weg aus der Malaise weisen. Haben die drei Erfolg, könnten die Wunden langsam heilen, die fehlende Solidarität und nationaler Egoismus zu Beginn der Coronakrise in der EU verursacht haben.

Scheitern sie, das ist die Befürchtung, könnte dies auch den Anfang vom Ende des Projekts Europa bedeuten.

Der größte Brocken: der Corona-Wiederaufbau

Die Aufgaben sind gewaltig. Die erste und größte ist der Wiederaufbau der Wirtschaft nach der Coronakrise.

Der Plan, der Europa aus der Wirtschaftskrise führen soll, ist Teil eines Werks von mehr als 2000 Seiten mit dem sperrigen Titel "Mehrjähriger Finanzrahmen für die EU von 2021 bis 2027". Seit Wochen wird um jedes Detail des Budgets gerungen.

Von der Leyen selbst telefoniert mit jedem der Staats- und Regierungschefs der 27 EU-Mitgliedstaaten zwei- oder drei Mal und versuchte, die Differenzen zwischen Norden und Süden und Westen und Osten zu überbrücken. Ihre Mitarbeiter halten das Berliner Kanzleramt und den Élysée-Palast in Paris auf dem Laufenden.

750 Milliarden Euro will von der Leyen für den Wiederaufbau Europas nach der Coronakrise ausgeben, zusätzlich zum Sieben-Jahres-Budget von 1,1 Billionen Euro. Damit ist ihr Rettungspaket noch größer und ambitionierter als der Wiederaufbaufonds, den Frankreichs Präsident und die deutsche Kanzlerin ursprünglich vorgeschlagen hatten. Merkel hat nichts dagegen. "Es muss ein Fonds bleiben, der hilft", sagt sie am Ende des Macron-Besuchs. In einer Woche will die Kanzlerin ihre Vorstellungen zu diesen und anderen Themen im Europaparlament vorstellen – persönlich.

Für den 17. und 18. Juli ist dann ein außerordentlicher EU-Gipfel geplant, der erste seit Beginn der Krise, zu dem die Staats- und Regierungschefs wieder persönlich anreisen. Notfalls, so ist zu hören, will man nicht nur Freitag und Samstag, sondern auch Sonntag verhandeln.

Der Druck ist groß: "Die deutsche Ratspräsidentschaft wird entscheidend sein, damit der Wiederaufbau wirtschaftlich, aber auch politisch ein Erfolg wird", sagt Manfred Weber (CSU), Chef der Fraktion der Europäischen Volkspartei im Europaparlament.

Drohende Doppelblockade zwischen Asylpaket und Haushalt

Doch die Widerstände sind ebenso groß. Da sind zunächst die Niederlande, Österreich, Schweden und Dänemark, die in den EU-Budgetgesprächen als die "Sparsamen Vier" auftreten.

Ihnen gefällt nicht, dass die EU die Krise mit europäischen Schulden bekämpfen will. Zudem wollen sie erreichen, dass das Geld nicht in Form von Zuschüssen, sondern von Krediten vergeben wird, und auch das nur unter strengen Auflagen. Sie fürchten, dass das Geld sonst sinnlos in Volkswirtschaften versickert, die bisher noch mit keiner Geldspritze zur Produktivität und Wettbewerbsfähigkeit der Nordländer aufschließen konnten. Auch die Bundesregierung drängt darauf, dass zumindest die Rückzahlung der Schulden rascher beginnt als von der Leyen es vorschlägt. Und überhaupt, 750 Milliarden, das sei etwas viel, findet Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD).

Zudem enthält der nächste Sieben-Jahres-Haushalt der EU Dutzende weitere Tretminen, etwa die Frage des deutschen Beitragsrabatts oder den Vorschlag, Regionalfördermittel künftig nur noch auszuzahlen, wenn sich Empfängerländer wie Ungarn und Polen an rechtstaatliche Grundsätze halten.

Und dann wäre da auch noch der Dauerstreit um die Migration. Von der Leyen wollte ihren Plan für eine Komplettrenovierung des EU-Asylrechts eigentlich schon längst vorgestellt haben. Derzeit aber sieht es nicht danach aus, als ob das noch vor der Sommerpause gelingen könnte. Das Worst-Case-Szenario ist eine wechselseitige Blockade von Asylpaket und Haushalt: Migrationsgegner wie Ungarn oder Polen könnten ihr Veto gegen das Asylpaket einlegen, die Geberländer könnten den beiden Fördermittel-Großempfängern daraufhin per Haushalts-Veto den Geldhahn zudrehen.

Es habe halt "jeder seine nationalen Interessen", sagt Merkel in Meseberg. Die Verbindung von Wiederaufbaufonds und Mehrjahresbudget mache die Dinge komplexer und einfacher zugleich, so die Kanzlerin. "Das Verhandlungsvolumen ist größer geworden und beides muss zusammen abgeschlossen werden."

Brexit – die großen Unbekannte

Ob das aber rechtzeitig bis zum Jahresende gelingen kann, ist derzeit völlig offen. Ebenso offen ist, wie das Verhältnis zwischen der EU und Großbritannien Anfang 2021 aussehen wird. Ende Januar haben die Briten die EU verlassen. Am 31. Dezember endet die Übergangsphase. Steht bis dahin kein Abkommen über die künftigen Beziehungen, droht ein harter Brexit mit allen Konsequenzen: Auf zahlreiche Produkte würden teils hohe Zölle fällig, die engen Lieferketten würden wohl größtenteils zusammenbrechen. Auch auf anderen Feldern, etwa in der Fischerei oder in der Strafverfolgung, wäre die bisherige Zusammenarbeit über Nacht Geschichte.

Es wäre so ziemlich das Letzte, was die EU und Großbritannien mitten in der Corona-Krise gebrauchen könnten. Dennoch deutet derzeit wenig darauf hin, dass ein umfassendes Abkommen noch bis Jahresende gelingen kann: Die Zeit ist knapp, die Gespräche wirken festgefahren.

Zudem würde ein harter Bruch die Position der EU auf globaler Ebene schwächen – wo sie gerade versucht, sich zwischen den USA und China zu behaupten. Macron etwa fordert "ein Ende der Naivität" zum Beispiel im Umgang mit China. Das aber ist leichter gesagt als umgesetzt.

Zwar hat die EU-Kommission inzwischen ihre Instrumente zum Schutz vor Übernahmen wichtiger Unternehmen durch ausländische Firmen geschärft. Auch bei der Digitalsteuer, die vor allem amerikanische Tech-Riesen wie Amazon, Google und Apple träfe, will die EU Ernst machen. "Die Steuer muss kommen, so oder so", sagte Kommissionsvizepräsident Valdis Dombrovskis im Interview mit dem SPIEGEL. Das Problem: Sie könnte geradewegs in einen Handelskrieg mit den USA führen.

Gefahr von Handelskriegen mit USA und China

Das Gleiche gilt für die geplante CO2-Grenzabgabe, die auf klimaschädliche Importe erhoben werden soll. Auch sie würde nicht nur die USA, sondern auch China herausfordern. Merkel gibt sich zumindest bisher unbeeindruckt. "Das ist eine gemeinsame Position, dass wir eine solche Steuer brauchen", sagte die Kanzlerin nach dem Treffen mit Macron. Noch deutlicher formuliert es der Europaabgeordnete Pascal Canfin, der als enger Vertrauter Macrons gilt. "Wenn wir unsere Politik davon abhängig machen, was Trump denkt, dann viel Glück", sagt Canfin. Es wäre "völlig absurd", die CO2-Steuer nicht einzuführen, weil sie dem US-Präsidenten nicht gefalle.

Der Mechanismus müsste allerdings in der EU gemeinsam beschlossen werden. Ob das gelingen kann, ist fraglich. Denn viele EU-Staaten sind darauf bedacht, es sich mit der Führung in Peking nicht zu verscherzen.

Und überhaupt, der Klimaschutz. Vor der Coronakrise stand der Green Deal im Mittelpunkt des Programms von der Leyens, jetzt droht er verdrängt zu werden. Paris und Berlin unterstützen zwar inzwischen gemeinsam ein schärferes Klimaschutzziel: Bis zum Jahr 2030 sollen die CO2-Emissionen um 50 bis 55 Prozent im Vergleich zu 1990 sinken. Die Grünen im Bundestag und das EU-Parlament aber fordern bereits 65 Prozent.

Bis Jahresende, sagt Canfin, müsse das Klimagesetz für die geplante Umsetzung stehen. "So ein Deal gelingt nur unter Zeitdruck", sagt der Macron-Vertraute. Merkel könne den Green Deal am Ende ihrer EU-Ratspräsidentschaft durchboxen – "und ihn zum Teil ihres Klima-Vermächtnisses machen", sagt Canfin. "Oder das Ganze wird verschoben."

Wie die Sache ausgehe, sei die Wahl der Kanzlerin. "Der Schlüssel liegt in Deutschland."

Icon: Der Spiegel

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