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Corona: Vorstoß von Markus Söder in Bayern – Wie sinnvoll sind Massentests für alle?

June 29
17:48 2020
Patient bei Probenentnahme: Auch ein negativer Test ist kein Freifahrtschein Icon: vergrößern

Patient bei Probenentnahme: Auch ein negativer Test ist kein Freifahrtschein

Noah Wedel/ imago images/Noah Wedel

Markus Söder ist mal wieder Erster. Schon beim Verhängen von Ausgangsbeschränkungen im März war der bayerische Ministerpräsident der Schnellste, ebenso zuletzt beim Beherbergungsverbot für Gäste aus dem neuen Virus-Hotspot in Gütersloh. Nun also Corona-Tests für alle.

In Bayern soll künftig jeder die Chance haben, sich kostenlos testen zu lassen, auch wenn es keinen Hinweis auf eine Infektion gibt, kündigte die Landesregierung am Sonntag an. "Das ist die einzige ernsthafte Option, es wird sonst zu wenig getestet", begründete Ministerpräsident Markus Söder die Entscheidung und wehrte sich damit gegen Kritik. "Wir warten nicht auf endlose Gespräche zwischen einzelnen Kostenträgern, sondern wir gehen in Vorleistung."

Das Testkonzept des Freistaats wurde schon vor gut anderthalb Wochen vorgestellt, doch erst jetzt häufen sich die kritischen Stimmen.

Was für den Ansatz spricht

Untersuchungen haben gezeigt, dass Infizierte sehr wahrscheinlich andere anstecken können, bevor sie Symptome haben, oder dass sie selbst überhaupt keine Beschwerden entwickeln. Massentests sollen die Chance erhöhen, diese Fälle aufzuspüren, die im Normalfall meist unentdeckt bleiben. Denn je schneller ein Infektionsherd erkannt wird, umso besser lässt er sich eindämmen.

"Diese Tests sind sinnvoll, weil wir kein anderes Instrument haben, zügig und schnell eine Infektionskette zu erkennen", lobte Eugen Brysch, Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz, den Vorstoß Bayerns. "Mit vorbeugenden Tests haben wir die Möglichkeit, Gefahrenlagen festzustellen." Womöglich ließen sich durch Massentests auch erneute regionale Corona-Beschränkungen verhindern, wie sie nun in Gütersloh und Warendorf gelten.

Bundesweit wurden in den vergangenen Monaten die Testkapazitäten deutlich ausgebaut. Allein in Bayern können 21.000 Menschen pro Tag getestet werden. Absolute Sicherheit bringen jedoch auch die nun versprochenen Tests nicht.

Und was dagegenspricht

PCR-Tests sind nur eine Momentaufnahme. Bei dem Verfahren werden menschliche Proben – meist aus dem Rachen oder der Nase – nach dem Erbgut des Coronavirus Sars-CoV-2 durchforstet. Fällt ein Test positiv aus, ist der Betroffene nachweislich zum Zeitpunkt der Probenentnahme infiziert.

Allerdings schließt ein negatives Testergebnis eine Infektion nicht aus (Mehr dazu lesen Sie hier). So schlagen PCR-Tests laut einer Studie im Fachblatt "Annals of Internal Medicine" häufig nicht an, wenn noch keine Beschwerden auftreten. Am ersten Tag nach der vermuteten Infektion fielen die Tests in 100 Prozent der untersuchten Fälle negativ aus, obwohl die Patienten infiziert waren.

Massentests könnten deshalb gerade in dem Punkt versagen, für den sie vor allem vorgesehen sind: Infektionen möglichst frühzeitig aufzuspüren, um Ansteckungen zu verhindern.

Auch für den Einzelnen bietet ein negatives Testergebnis nur wenig Mehrwert. Die Betroffenen wissen dann, dass sie zu dem Zeitpunkt der Probenentnahme wahrscheinlich nicht infiziert waren, das könnte sich aber schon in der Sekunde nach dem Test ändern. Ein negatives Testergebnis dürfe nicht in falscher Sicherheit wiegen, mahnt auch Gesundheitsminister Jens Spahn.

Corona-Massentests können auch dabei helfen, die Dunkelziffer aufzuklären. Wahllos alle zu testen, die das wollen, ergibt jedoch wenig Sinn, da sich im Nachhinein nicht sicher feststellen lässt, ob die Ergebnisse auch auf den Rest der Bevölkerung übertragbar sind. Zuverlässige Ergebnisse sollen Antikörperstudien liefern, die bereits angelaufen sind.

Die Hoffnung, in Deutschland könnte sich unbemerkt ein großer Teil der Bevölkerung angesteckt haben, wie nun jüngste Untersuchungen für Ischgl zeigen, ist jedoch trügerisch. Selbst wenn sich hierzulande bis zu zehnmal mehr Menschen mit dem Coronavirus angesteckt haben sollten als bekannt – was Modellrechnungen auch für andere Länder für plausibel halten -, hätten sich bisher nur 2,3 Prozent der Menschen in Deutschland mit dem Virus infiziert.

Mehr Tests ja – aber für alle?

Die kostenlosen Tests in Bayern sind ein weiterer Beleg, dass es mit der Einigkeit der Bundesländer bei der Bekämpfung der Pandemie vorbei ist. Söder, den viele schon als möglichen Kanzlerkandidaten handeln, auch wenn er selbst solche Pläne abstreitet, gilt als Corona-Hardliner.

Dass Söder als erster Landeschef kostenlose Tests für alle ermöglicht, während die Menschen im Rest der Republik selbst zahlen müssen, wenn es keinen Grund für einen Test gibt, dürfte seine Amtskollegen unter Druck setzen.

So mutmaßte bereits der SPD-Fraktionschef in Nordrhein-Westfalen, Thomas Kutschaty, in der "Rheinischen Post", Armin Laschet könnte dem Beispiel Söders folgen. Andere Bundesländer wie Sachsen-Anhalt und Hamburg schließen kostenlose Tests für alle dagegen derzeit aus. Dafür seien die Infektionszahlen zu gering, hieß es aus Sachsen-Anhalt. Hamburg beruft sich auf das Robert Koch-Institut (RKI), das ungezielte Testungen für wenig sinnvoll hält, weil auch ein negatives Testergebnis eine Infektion nicht ausschließt.

"Es geht alles drunter und drüber, jedes Bundesland macht, was es will", monierte Patientenschützer Brysch. "Das ist für mich und auch für viele Patienten außerordentlich unbefriedigend."

Dabei gibt es längst ein bundesweites Konzept, das eine deutliche Ausweitung der Tests vorsieht. "Es wäre schön, wenn sich alle, die sich auf ein gemeinsames Vorgehen geeinigt haben, auch daran hielten", kritisierte CDU-Gesundheitsexpertin Karin Maag in der "Augsburger Allgemeinen".

Das Testkonzept des Bundes sieht vor, dass jeder auf Corona getestet werden soll, der stationär im Krankenhaus behandelt wird. Auch Reihentests in Pflegeeinrichtungen, Kitas oder Schulen sind ausdrücklich vorgesehen, Ärztinnen und Ärzte sind angehalten, auch bei einfachen Erkältungssymptomen auf das Coronavirus zu testen.

Die richtigen Leute testen

Ob kostenlose Tests für alle einen wirklichen Mehrwert bringen, ist fraglich. So mahnte SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach, dass es zwar richtig sei, die Testkapazitäten weiter auszubauen. Es müssten aber auch die richtigen Leute getestet werden. "Neue Studien deuten darauf hin, dass es stärker auf die Häufigkeit der Tests ankommt, in welchen Abständen ich Risikopersonen regelmäßig teste", so Lauterbach.

Auch wenn Deutschland die Testkapazitäten zuletzt nicht mal annähernd ausgeschöpft hat, sind die Ressourcen endlich. Kostenlose Tests für alle – darin sind sich alle einig – dürfen deshalb nicht auf Kosten derer gehen, die sie wirklich brauchen. So sollen auch in Bayern weiterhin symptomatische Verdachtsfälle bevorzugt werden.

Effektiver als Massentests für jeden, sind gezielte Untersuchungen in Pflegeeinrichtungen, Schulen und Kindergärten. Auf dieses Konzept setzt Berlin, wo sich seit Montag Kita-Mitarbeiterinnen und -Mitarbeiter auf das Coronavirus testen lassen können, auch wenn sie keine Symptome haben. Bürgermeister Michael Müller (SPD) kündigte an, dass die Regelung voraussichtlich ab der zweiten Julihälfte auch auf Personal an Schulen ausgeweitet werden soll.

"Einfach nur viel testen klingt gut, ist aber ohne systematisches Vorgehen nicht zielführend", schrieb Spahn am Montag bei Twitter. "Denn es wiegt in falscher Sicherheit, erhöht das Risiko falsch-positiver Ergebnisse und belastet die vorhandene Testkapazität."

Icon: Der Spiegel

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