Kommunalwahl in Frankreich: Emmanuel Macron und die grüne Welle

Präsident im grünen Dickicht: Die Franzosen haben Macron abgestraft
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Es ist vor allem ein kalendarischer Zufall, dass der erste und zweite Wahlgang der Kommunalwahlen in Frankreich in diesem Corona-Jahr zwei entscheidende Zeitpunkte markieren:
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Der 14. März war einer der letzten Tage in Freiheit vor dem strengen acht Wochen lang währenden Shutdown im Land.
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Der zweite Wahlgang am Sonntag scheint nun die langsame Rückkehr zur Normalität abzuschließen.
Die Franzosen haben für diesen Schritt länger gebraucht als andere Europäer: Erst in diesen Tagen eröffnen wieder die großen Museen in Paris, ebenso wie die Hotels.
Die Zeit zwischen diesen beiden Daten hat ihre Spuren hinterlassen:
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Unendlich weit weg erscheint schon jetzt der Wahlkampf Anfang des Jahres und der Skandal um das Masturbationsvideo von Benjamin Grieveaux, Macrons Kandidaten in Paris, das zu dessen Rücktritt führte.
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Wie aus einer anderen Zeit wirkt heute die Fernsehdebatte zwischen seiner Nachfolgekandidatin Agnès Buzyn von La République en Marche (LREM) mit ihren beiden Mitbewerberinnen, der amtierenden sozialistischen Bürgermeisterin Anne Hidalgo und der konservativen Rachida Dati. Über 20 Minuten lang ging es damals um öffentliche Toiletten in Paris. Inzwischen hat man andere Sorgen.
Die Entscheidung, die zweite Runde der Kommunalwahlen in den Städten und Gemeinden, in denen eine Stichwahl anstand, noch vor der großen Sommerpause stattfinden zu lassen, traf Präsident Emmanuel Macron vor einigen Wochen persönlich und das wohl aus zwei Gründen:
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Das wissenschaftliche Komitee, das die Regierung seit Ausbruch der Pandemie berät, sah keinen Grund, die Abstimmung abzusagen.
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Ebenso entscheidend aber dürfte die Überlegung gewesen sein, die absehbare Niederlage von "En Marche" so schnell wie möglich hinter sich zu lassen.
Möglichst weit weg auf jeden Fall von der für den Herbst erwarteten schweren Wirtschaftskrise und mit maximalem Abstand zum Auftakt des Wahlkampfes für die Präsidentschaftswahlen im Mai 2022, bei denen Macron erneut kandidieren möchte.
60 Prozent der Franzosen gingen nicht zur Wahl
Und tatsächlich brachte der gestrige Sonntagabend wenig gute Nachrichten für den Präsidenten: 60 Prozent der Franzosen enthielten sich der Wahl, ein historischer Rekord, den es noch zu analysieren gilt. Viele aber scheuten wohl, ersten Umfragen zufolge, aus Angst vor dem Virus den Weg in die Wahllokale, in Frankreich gibt es keine Briefwahl.
Als gescheitert gelten darf auch das selbst gesetzte Ziel der Regierungspartei, auch endlich auf dem Land, in kleineren Städten und Gemeinden politisch vertreten zu sein – also überall dort, wo die junge Partei, die vor drei Jahren aus der politischen Bewegung Macrons entstanden war, bisher noch nicht vorkam und nicht vorkommen konnte. Kommunalwahlen finden nur alle sechs Jahre statt.
Aber noch nicht mal in größeren und mittelgroßen Städten gelang es LREM, die Rathäuser zu erobern. Bordeaux, Straßburg und Lyon werden demnächst grüne Bürgermeister haben und es bleibt unverständlich, warum die Regierungspartei, die eine nachhaltige Umweltpolitik zu einem ihrer zentralen Programmpunkte gemacht hat, in diesen drei Städten auch noch eine Allianz mit den konservativen Republikanern einging, um die grünen Kandidaten zu verhindern.
Bei vielen jungen Wählern wird sie damit langfristig an Glaubwürdigkeit einbüßen. Der grüne Siegeszug im bisher nicht so grünen Frankreich ist das überraschendste Ergebnis dieser Wahl. Der Grünen-Politiker und Europaabgeordnete Yannick Jadot stellte "einen politischen Wendepunkt für unser Land" fest. Der Erfolg seiner Partei, so Jadot, sei auch eine "Reaktion auf die Unfähigkeit der Regierung, Angebote zu ökologischen und sozialen Fragen zu machen".
Bittere Niederlage in Paris
Am bittersten, so absehbar sie auch war, ist für die Regierungspartei wohl die Niederlage in Paris, dort, wo Emmanuel Macrons Bewegung einst so eindeutig siegte. Die LREM-Kandidatin Agnès Buzyn, die nach dem Sextape-Skandal um Grieveaux eingesprungen war und dafür ihren Posten im Gesundheitsministerium aufgegeben hatte, galt zwar seit langem als chancenlos.
Spätestens seit sie "Le Monde" nach dem ersten Wahlgang ein bizarres Interview gegeben hatte, in dem sie erklärte, schon sehr früh gesehen zu haben, wie der "Tsunami Corona" auf Frankreich zurolle, weshalb sie auch gegen die Ausrichtung der Wahl am 14. März gewesen sei, setzte niemand mehr ernsthaft auf sie. Ihr Ergebnis vom Sonntagabend ist mit 13 Prozent nun aber so niedrig, dass Buzyn es noch nicht mal in den Pariser Stadtrat schaffen wird.
Umso eindeutiger siegte die amtierende, sozialistische Bürgermeisterin Anne Hidalgo, die seit Jahren für eine entschiedene Umweltpolitik in der Hauptstadt steht: Hidalgo erhielt über 48 Prozent der Stimmen.
Ihre konservative Konkurrentin, die ehemalige Justizministerin Rachida Dati, lag mit 32 Prozent weit hinter ihr. Die Grünen, mit denen Hidalgo vor dem zweiten Wahlgang eine Allianz eingegangen war, kamen auf knapp elf Prozent.
Marine Le Pens rechtspopulistische Partei "Rassemblement National" (RN) trat in der Hauptstadt gar nicht erst an, konnte aber auch im Rest des Landes nicht wirklich hinzugewinnen. Lediglich der ehemalige Lebensgefährte Le Pens, Louis Aliot, errang einen symbolisch wichtigen Sieg in der Mittelmeerstadt Perpignan – mit einer Liste, auf der der Parteiname nicht einmal erwähnt wird.
Premier Philippe holt klaren Sieg in Le Havre
Bleibt als einzig erfreuliche Nachricht für die Regierungspartei der klare Sieg von Premierminister Edouard Philippe in seiner Heimatstadt Le Havre: Über 58 Prozent erzielte der 49-Jährige dort. Seit Tagen wird in Paris darüber spekuliert, ob Philippe bei der von Macron angekündigten Regierungsumbildung Premierminister bleiben wird oder nicht.
Der Sieg in Le Havre hat seine Position nun gefestigt. Darüber hinaus gäbe es aber auch noch andere gute Gründe, ihn auf dem Posten zu behalten: Sollte der Präsident sich von ihm trennen, könnte der bis dahin sehr loyale Philippe zum ernst zunehmenden Konkurrenten für die Präsidentschaftswahl 2022 werden.
Angeblich wollen die beiden Männer noch am Montag miteinander reden. Kurz darauf wird Macron ins brandenburgische Meseberg fahren, um mit der deutschen Kanzlerin vor Beginn der deutschen EU-Ratspräsidentschaft zu diskutieren. Morgen fliegt er nach Mauretanien, um mit Regierungschefs der Sahelzone zu sprechen – geographisch wie inhaltlich ist das maximal weit weg vom Ärger zu Hause.
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