Corona in Südafrika: Mit dem Zusammenbruch des Tourismus wird die Wilderei zunehmen

Südafrikanisches Nashorn nach einem Angriff durch Wilderer
Adrian Steirn/ dpa
In den Ausläufern des Acornhoek Townships, weit im Norden Südafrikas, unweit des Kruger-Nationalparks, steht Prince Nkuna an einem kleinen Tor aus Maschendraht und trauert dem Traum nach, der platze, als das Coronavirus kam. Ein stämmiger Mann, mit schüchternem Lächeln, in Shorts und Flipflops. Seit er ein kleiner Junge war, wollte er Ranger werden in einem der vielen Wildtierreservate, für die die Gegend berühmt ist.
"Vor sechs Monaten habe ich meinen Traumjob bekommen, im Balule Reservat", sagt er und schaut auf seine kleine Hütte aus unverputzten grauen Klinkern, vor der er ein kleines Feld angelegt hat, auf dem Mais und Tomaten wachsen. Das ist alles, was er noch hat, um seine Familie zu ernähren. Im April hat er den Job wieder verloren. "Uns wurde versprochen, dass wir Geld von der Regierung bekommen. Aber bisher ist nichts angekommen", sagt er.
Wie Hunderttausende hier im Norden Südafrikas, wo der Kruger- und der Greater Kruger-Park liegen, ist Nkuna angewiesen auf die Arbeit, die die internationalen Touristen schaffen, die jedes Jahr in Massen in die Wildtierreservate strömen. Elefanten, Löwen, Nashörner, Giraffen und Büffel, die sogenannten Big Five sind eine wichtige Marke für den südafrikanischen Tourismus. Der nun aber aufgrund der Corona-Pandemie fast vollständig zum Erliegen gekommen ist.
Erst ab Februar 2021, so die südafrikanische Regierung, wolle man das Land wieder für internationale Besucher öffnen. So lange aber werden viele Lodges und Hotels nicht durchhalten. So lange werden die Restaurants und Souvenirverkäufer nicht überleben. Und nicht nur hier. Eine Milliarden-Euro-Industrie in ganz Afrika steht vor dem Abgrund.
Vom Okowango-Delta in Botswana über den Kruger-Nationalpark in Südafrika bis zum Samburu-Nationalpark in Kenia verlieren Gemeinden, die vom Safaritourismus lebten, ihre Lebensgrundlage. Hunderttausende verlieren ihre Arbeit. Millionen Menschen leiden darunter. Und wahrscheinlich auch die Tiere, die die Touristen anziehen.
In Südafrika, Botswana, Kenia, Ruanda, Tansania, Uganda und Sambia setzt die Safari-Industrie rund 12,4 Milliarden Dollar im Jahr um, so eine Schätzung der Firma SafariBookings. Geld, das nun nicht mehr fließt. Eine Untersuchung des Unternehmens, die über 300 Touranbieter umfasste, kam zu dem Ergebnis, dass fast alle einen mindestens 75-prozentigen Rückgang ihrer Buchungen verzeichnen.
Andy Payne, Mitbesitzer und Betreiber des Thornybush-Reservats, ein bekanntes Gesicht in der Branche, ist seit 30 Jahren im Geschäft und versteht seine Regierung nicht. "Wenn sie schon jetzt sagen, es werde vor nächstem Jahr keinen Tourismus geben, zerstören sie Buchungen für das ganze nächste Jahr. Und der Tourismus ist eine der Lebensadern dieses Landes."
Die Angst sei sehr groß, sagt er auf der Terrasse einer Luxuslodge in der Nähe der Safaristadt Hoedspruit. Ein paar Warzenschweine trinken am Wasserloch zu seinen Füßen. "Wir befinden uns noch am Anfang. In zwei Monaten wird die Lage der Industrie richtig schlimm sein und sich dann exponentiell weiter verschlimmern. Schlimmer und schlimmer wird es werden."
Hunderttausende Jobs verschwinden
Die Regierung verstehe noch immer nicht, wie groß die Bedeutung des Tourismus eigentlich sei, sagt er. "Die Abschottung wird der Tourismussektor hier nicht verkraften." Laut Payne kursieren in der Industrie Schätzungen, dass in Südafrika rund eine Million Jobs in der Branche auf dem Spiel stehen.
Der Tourismusminister Mmamoloko Kubayi-Ngubane warnte im Mai, dass bis zu 600.000 Arbeitsplätze verloren gehen könnten. Und das bei einer Schließung des Sektors nur bis September.
"Und ich glaube nicht, dass viele dieser Jobs schnell wiederkommen werden", sagt Payne. Auch er rechnet damit, seine Kapazitäten um die Hälfte reduzieren zu müssen, und hofft, dann langsam wieder aufbauen zu können.
Damit könnte er sich womöglich noch glücklich schätzen. Im vergangenen Monat befragte die lokale Tourismusbehörde in der Kruger-Lowveld-Region fast 500 Tourismusbetriebe. 90 Prozent sagten, sie glaubten nicht, die Pandemie wirtschaftlich überleben zu können. Mehr als zwei Drittel hätten bereits begonnen, ihre Angestellten zu entlassen. Dass viele Reservate nun wieder für Tagesgäste geöffnet werden, hilft ihnen nur wenig.
Die Tierwelt wird leiden
Payne befürchtet zudem, dass auch die Natur leiden wird. "Natürlich kann man als Purist sagen, dass das Wegfallen des Tourismus gut für die Umwelt ist", sagt er. "Aber das ist ein zweischneidiges Schwert, denn ein großer Teil des Geldes, das durch den Tourismus generiert wurde, floss in den Schutz der Natur."
Es steht zu befürchten, dass nun ein Kreislauf angestoßen werden könnte: Immer mehr Leute verarmen, und je ärmer sie werden, desto öfter werden sie wildern. "Die Kriminalität allgemein wird ansteigen", so Payne.
Bisher ist im Kruger-Nationalpark und den angrenzenden Reservaten kein Anstieg zum Beispiel der lukrativen Nashornwilderei zu beobachten. Die Grenzen sind geschlossen. Der Export ist schwierig. Einige Anti-Wilderei-Einheiten verkünden aber bereits einen Anstieg der sogenannten Bushmeat-Wilderei, des Wilderns von Antilopen und anderem Wild, von dessen Fleisch die Menschen sich ernähren können.
Hungrige Menschen werden jagen
"Bullshit", sagt Craig Spencer, Leiter des Balule-Reservats und Chef der dortigen Anti-Wilderei-Einheit, während er in seinem rostigen Landrover sitzt, auf eine Elefantenherde schaut und eine billige mosambikanische Zigarette raucht.
Spencer glaubt den Warnrufen anderer Anti-Wilderei-Einheiten nicht. Er und seine Leute hätten in ihrem Reservat noch keinen Anstieg beobachten können. Es werde so viel gewildert wie sonst auch. "Viele Anti-Wilderei-Einheiten haben nun große Angst um ihre Arbeit. Sie müssen jetzt ihre Existenz rechtfertigen, deswegen diese Behauptungen." Die Zukunft der Tierwelt in den Reservaten könnte aber durchaus düster aussehen, glaubt auch Spencer.
Denn viele, gerade kleinere Reservate und Lodges werden sich Anti-Wilderei-Einheiten bald nicht mehr in dem gewohnten Maße leisten können. "Und all die Leute, die wir jetzt entlassen müssen, kennen die Reservate wie ihre Westentaschen. Irgendwann werden einige von ihnen dann in die Reservate kommen und jagen", sagt Spencer, der früher für die Regierung Seeohren-Wilderer jagte.
"Elefanten und Büffel könnten wieder mehr geschossen werden"
"Was sollen die Leute machen, wenn sie kein Geld für Essen haben?", fragt er und fährt langsam rückwärts, nachdem er auf eine Herde Büffel gestoßen ist, die in einer Senke ruhen. Es sei außerdem wahrscheinlich, dass einige Reservate die Trophäenjagd wieder einführen würden, um mit dem so verdienten Geld überleben zu können. "Elefanten und Büffel könnten wieder mehr geschossen werden."
Die Nashornwilderei gehe eigentlich seit Längerem zurück, so Spencer. Nun aber, mit zunehmender Armut, könnte sich diese Entwicklung umkehren. Oder andere Tiere könnten wieder in den Fokus geraten. "Löwen zum Beispiel", sagt Spencer. "Gerade wenn die Regierung den legalen Löwenknochenhandel mit China wieder komplett verbieten sollte." Denn aus Südafrika werden jedes Jahr die Knochen von Hunderten für die Schlachtung gezüchteten Löwen nach China exportiert. Dort wird daraus sogenannter Tigerknochen-Wein gemacht. Nicht nur Tierquälerei, sondern auch eine mögliche Quelle neuer Krankheitserreger für den Menschen.
Sicher sei: "Wenn die Grenzen wieder aufgehen, wird es mehr Wilderei geben." Denn die Lage der Menschen hier werde immer schlimmer werden. Als Vorsichtsmaßnahme haben kürzlich drei Reservate in Südafrika bereits ihren Nashörnern die Hörner abgesägt. In Acornhoek, dem Township, in dem Prince Nkuna, der ehemalige Ranger des Balule-Reservats lebt, sind viele Menschen mittlerweile auf Nahrungsmittelhilfen angewiesen. Auch Nkuna glaubt: "Es wird nicht lange dauern, bis sich immer mehr Menschen in die Reservate schleichen werden."
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