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Nobert Lammert: “Die CDU hat sicher eine größere Zukunftsperspektive als ich”

June 21
13:37 2020
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CDU-Urgestein Lammert

Andreas Chudowski/ DER SPIEGEL

SPIEGEL: Herr Lammert, Sie sind drei Jahre jünger als die CDU. Wer hat sich besser gehalten?

Lammert: Die Partei hat ganz sicher eine größere Zukunftsperspektive als ich.

SPIEGEL: 1966 sind Sie mit 18 Jahren der CDU beigetreten. Können Sie sich an den Tag noch erinnern?

Lammert: Ja, weil es mein 18. Geburtstag war. Das war nach der damaligen Parteisatzung der frühestmögliche Zeitpunkt für den Eintritt.

SPIEGEL: Warum sind Sie Mitglied geworden?

Lammert: Ich war bereits durch die Schule und meine Familie politisiert und schon drei Jahre lang in der Jungen Union. Vor allem hatte ich das Bedürfnis, mich aktiv mit dem damaligen Vorsitzenden der Bochumer CDU auseinanderzusetzen. Dafür musste ich in die Partei eintreten.

SPIEGEL: Ihre Partei wurde vor 75 Jahren im Juni 1945 in der sowjetischen Besatzungszone in Berlin auf dem "Trümmerhaufen sittlicher und moralischer Werte" ins Leben gerufen, wie es im Gründungsaufruf hieß. Kurz zuvor hatte es im Rheinland die "Kölner Leitsätze" für eine Parteibildung gegeben. Was ist noch übrig von dieser Gründungs-CDU?

Lammert: Die CDU war damals ja noch lange keine Partei, das muss man immer vorneweg sagen, sondern ein Zusammenschluss von ganz unterschiedlichen Menschen mit sehr verschiedenen Biografien und Erfahrungen, gemeinsam von der Überzeugung getragen, dass man nach dem Scheitern von Weimar und der Katastrophe des Nationalsozialismus etwas ganz Neues braucht. Daher nannte man sich Union und eben nicht Partei. Dies erklärt vielleicht auch, dass die CDU erst 1978 ihr erstes Grundsatzprogramm vorlegte.

SPIEGEL: Heute ist die CDU klassische Regierungspartei, keine andere hat das Land länger politisch gestaltet.

Lammert: Und in mehr als 50 Jahren in Regierungsverantwortung ist aus meiner Wahrnehmung eine Menge übrig geblieben von dem Gründungsgedanken. Das Bewusstsein, eine Klammer zwischen verschiedenen gesellschaftlichen Gruppierungen zu bilden – Wirtschaft und Arbeitgeber auf der einen, Arbeitnehmer und Gewerkschaften auf der anderen Seite, den verschiedenen Konfessionen und Altersgruppen -, das ist unser Selbstverständnis geblieben. Da sind wir als Volkspartei beinahe konkurrenzlos.

SPIEGEL: Wirklich? Ist die CDU noch eine Volkspartei?

Lammert: Auch wir tun uns schwer, und das liegt vor allem an gesellschaftlichen Entwicklungen, an Bindungsverlusten. Wenn zu unserem 50-jährigen Jubiläum jemand gesagt hätte, wir könnten in Umfragen mal dauerhaft unter 30 Prozent rutschen, wäre das als Panikmache abgetan worden.

SPIEGEL: Gegenwärtig liegen Sie aber wieder bei rund 40 Prozent…

Lammert: Dass wir in einer besonderen, krisenhaften Situation auf einmal wieder Umfragezahlen erleben, die scheinbar große alte Zeiten wiederherstellen, ist eine schöne Bestätigung der aktuellen Arbeit, aber kein Grund, die großen Herausforderungen aus dem Blick zu verlieren.

SPIEGEL: Kann sich das C im Parteinamen noch halten vor dem Hintergrund des Bedeutungsverlusts christlicher Kirchen und der zunehmenden Zahl an Deutschen ohne Religionsbekenntnis oder anderen Glaubens?

Lammert: Ich hatte zu keinem Zeitpunkt unserer Geschichte den Eindruck, dass auch nur eine starke Minderheit bei uns ernsthaft mit dem Gedanken spielte, dieses Selbstverständnis als christlich orientierte Partei aufzugeben. Wir haben dieses Selbstverständnis schon früh mit der Einladung an Menschen anderen Glaubens oder ohne konfessionelle Bindung verbunden. Gerade von bekennenden Muslimen höre ich immer wieder: Wir fühlen uns in der CDU, die sozusagen religiös musikalisch ist, eher zu Hause als in einer Partei, der diese Orientierung fehlt. Andersherum kann sich mit unseren Grundsätzen schwerlich anfreunden, wer ein kämpferisches Islam-Verständnis hat. Für fundamentalistische Christen dürfte das allerdings genauso gelten.

SPIEGEL: Mit der AfD ist Ihnen eine Konkurrenz erwachsen, die dieses Milieu gezielt anspricht.

Lammert: Es ist dort wohl auch besser aufgehoben. Für meine Partei wünsche ich mir Mitglieder, die die vor 250 Jahren stattgefundene Aufklärung auch für sich nachvollzogen haben.

SPIEGEL: In der DDR war die CDU eine Blockpartei und damit ein stabilisierender Faktor des SED-Regimes. Stimmen Sie unserem Eindruck zu, dass dies immer noch nicht ausreichend aufgearbeitet wurde?

Lammert: Abgeschlossen ist das ganz sicher nicht.

SPIEGEL: Sollte Ihre Parteiführung vor dem Hintergrund der Ost-CDU-Geschichte den sogenannten Unvereinbarkeitsbeschluss gegenüber der Linkspartei, an dem zuletzt in Thüringen die Regierungsbildung scheiterte, nicht erst recht überdenken?

Lammert: Solche Beschlüsse haben regelmäßig konkrete, mindestens plausible Gründe. Und sie erweisen sich dann genauso regelmäßig als wenig hilfreiche, unverrückbare Dogmatik. Ich erinnere mich jedenfalls lebhaft an sehr ähnliche Beschlusslagen im Verhältnis meiner Partei zu den Grünen, die jetzt gerade mal 30 Jahre zurückliegen und irgendwann an veränderte Verhältnisse angepasst wurden – ohne dass sie förmlich aufgehoben sind. All das setzt aber nicht nur eine geistige Beweglichkeit auf der einen Seite voraus, sondern auch auf der anderen.

SPIEGEL: Sehen Sie die bei einem Politiker wie Thüringens Linken-Ministerpräsident Bodo Ramelow?

Lammert: Ja. Aber er steht auch nicht für die überwiegende Mehrheit der Linkspartei.

SPIEGEL: Dem CDU-Mitbegründer und ersten Bundeskanzler Konrad Adenauer war die Westintegration zweifach wichtig – gegenüber Frankreich und im transatlantischen Verhältnis zu den USA. Sehen Sie dieses doppelte Selbstverständnis Ihrer Partei durch Donald Trump in der Substanz gefährdet?

Lammert: Substanziell hoffentlich nicht, aber atmosphärisch heftig und operativ zunehmend. Und ich glaube, das muss man auch in Zukunft sortieren.

SPIEGEL: Was heißt das?

Lammert: Es wird schwierig sein, die Beziehungen nach Trump in den früheren Status quo zurückzuführen. Dabei ist die Anbindung sowohl nach Frankreich und damit innerhalb Europas und andererseits nach Washington ja ohne ernsthafte Alternative. Die europäische Integration ist im ureigenen Interesse Deutschlands, gleichzeitig ist Europa im globalen Maßstab alleine zu schwach – und außer den USA sehe ich international keine Großmacht, die unseren Wertevorstellungen so nahe kommt.

SPIEGEL: Von Adenauer zu Helmut Kohl, dem zweiten großen CDU-Kanzler. Was bleibt nach der Spendenaffäre von der Ära Kohl für Sie?

Lammert: Helmut Kohl hat mit völligem Unverständnis die internen Kritiker abgebürstet, die sein Verhalten in der Spendenaffäre indiskutabel fanden. So nach dem Motto: Im Lichte meiner historischen Bedeutung ist das schlicht unerheblich. Das habe ich, wie viele in der Partei und in der Öffentlichkeit, nie akzeptiert. Dennoch ist das aus historischer Perspektive wohl korrekt. Kohl war in einer ähnlichen Weise ein Glücksfall für Deutschland in einer konkreten zeitgeschichtlichen Situation, wie es Adenauer nach dem Zweiten Weltkrieg war. Kohls größte Stärke war, Vertrauen in seine Person zu stiften.

SPIEGEL: Das müssen Sie erklären.

Lammert: Erinnern Sie sich an den Zehn-Punkte-Plan, mit dem Kohl schon bald nach dem Mauerfall 1989 im Bundestag ein Szenario für eine gesamtdeutsche Zukunft entwickelt hat. Damit überraschte er alle. Der damalige US-Präsident George Bush soll seinen Sicherheitsberater später gefragt haben, ob er davon Kenntnis gehabt hätte. Nein, überhaupt nicht, soll dieser gesagt haben – aber es war eben von Kohl, dem konnte man trauen. Dieser Kanzler hatte durch seine herausragende, nicht selten großzügige Rolle im europäischen Integrationsprozess ein immenses Vertrauenspotenzial in den Nachbarstaaten und in der Welt erworben. Deshalb war es möglich, dass es wieder ein starkes, vereinigtes Deutschland im Zentrum Europas geben konnte.

SPIEGEL: Adenauer, Kohl, Merkel – wer ist die prägendste Figur für die CDU gewesen?

Lammert: Jeder von ihnen hat rund zwanzig Jahre deutsche Geschichte geprägt. Adenauer war für mich eine Art Lichtgestalt – aber ganz weit weg. Kohl habe ich aus der Nähe erlebt, ich war im Bundestag, als er Kanzler wurde. Aber mit keinem der drei Kanzler hatte ich eine so enge Beziehung wie zu Angela Merkel.

SPIEGEL: Welchen Platz wird sie einnehmen, wenn man auf ihre Kanzlerschaft zurückblickt?

Lammert: Da kann ich nur spekulieren, weil man ja vermutete Entwicklungen vorwegnimmt, die noch gar nicht stattgefunden haben. Ich vermute jedenfalls, dass ihre Popularität die ihrer Vorgänger noch einmal in den Schatten stellen wird. Weil Merkel weniger als alle ihre Vorgänger polarisiert hat.

SPIEGEL: Weil sie sich politisch auch weniger getraut hat?

Lammert: Nein, denken Sie mal an die Flüchtlingskrise! Aber sie hat Menschen imponiert, die sonst niemals nur in die Nähe der Stimmabgabe für die CDU gekommen wären, auch Intellektuelle und Künstler. Wegen ihrer unprätentiösen, an der Aufgabe orientierten Art der Amtsführung, so uneitel wie nur möglich; keinerlei Interesse an irgendwelchen Vorteilen, an protokollarischer Inszenierung. Das wird mit ihr in Verbindung bleiben, mehr als ein einzelnes Thema.

SPIEGEL: Merkels Kanzlerschaft endet wohl kommenden Herbst. Wer aus der Union hat das Zeug zum Nachfolger?

Lammert: Wir haben drei erklärte Kandidaten, ich erwarte nicht, dass es weitere gibt. Und der Zusammenhang zwischen Parteivorsitz und Kanzlerkandidatur ist evident.

SPIEGEL: Neben den drei Bewerbern für den CDU-Vorsitz gibt es auch noch CSU-Chef Markus Söder, der als Kanzlerkandidat infrage käme. Oder nicht?

Lammert: Jeder der Kandidaten hat das Zeug zum Kanzler. Ich erinnere gerne an Debatten, auch im SPIEGEL, die vor dem Amtsantritt von Merkel angestellt wurden: Kann die das? Niemand hätte damals geglaubt, dass sie so lange und erfolgreich Kanzlerin bleiben würde. Sie ist ein besonders gutes Beispiel dafür, dass Begabungen auch Gelegenheiten brauchen, in denen sie sich entwickeln können.

SPIEGEL: Ist Deutschland bereit für den ersten CSU-Kanzler?

Lammert: Ja, wenn Markus Söder erstens will, zweitens sich beide Parteien auf ihn einigen und er drittens – im Unterschied zu den beiden erfolglosen CSU-Kanzlerkandidaten zuvor – eine Mehrheit der Stimmen im Bundestag erreicht.

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