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Norbert Blüm ist tot: Ein Nachruf

April 24
12:39 2020

"Tue recht und scheue niemand", war Norbert Blüms Motto. Er hat sich daran gehalten – als Politiker, Komiker, Gewerkschafter, Schriftsteller und Mensch. Jetzt ist er im Alter von 84 Jahren gestorben.

"Der Nobby ist der Nobby", sagte einmal, nach einigem Nachdenken, ein Parteifreund, der den Bundesarbeitsminister in kleiner Runde beschreiben sollte. Damit war tatsächlich alles gesagt über Norbert Blüm, der nun im Alter von 84 Jahren gestorben ist. Denn der "Nobby" war einzigartig, ob man ihn nun mochte oder nicht.

Blüm war, obschon er nur 1,64 Meter maß, ein großer Mann. Nicht, weil er 16 Jahre Bundesminister war. Oder weil er ganz besondere Auszeichnungen bekommen hat, etwa den Leipziger Menschenrechtspreis, aber auch den Karl-Valentin-Orden und den Münchhausen-Preis und den Titel "Botschafter des Bieres" – und sie alle angenommen hat.

Ein Unikat war Blüm vor allem, weil der kleine "Nobby" sich ganz groß machen konnte, wenn er "die Menschlichkeit gegen die Geldgesellschaft" verteidigen musste. Sei es gegen die Waffenlobby oder einen wie den Formel-1-Boss und Lebemann Bernie Ecclestone. Oder, vielleicht noch viel schlimmer, gegen die Deutsche Bank.

Ein CDU-Politiker macht sich mit solchen Feldzügen im Kernbereich der Marktwirtschaft nicht nur Freunde im eigenen Lager. Noch weniger, wenn er deutsche Exportchancen tangierte, wie Blüm auf seiner Chile-Reise 1987. Eigentlich wollte er in das landwirtschaftliche Gut der deutschen "Colonia Dignidad"-Sekte, das kurz zuvor als Folterzentrum des chilenischen Geheimdienstes enttarnt worden war. Er durfte nicht rein.

"Herr Präsident, Sie sind ein Folterknecht"

Dafür war der mit einem von den USA geförderten Putsch 1973 an die Macht gekommene General Augusto Pinochet bereit, den Minister aus Deutschland zu empfangen. Hatte man doch gute historische wie aktuelle Beziehungen mit den Deutschen. Aber Blüm macht mit dem ersten Satz die Positionen klar: "Herr Präsident, Sie sind ein Folterknecht."

Doch der Hitler-Bewunderer Pinochet brach die Audienz nicht umgehend ab. Er tat etwas Originelleres, wie er fand: Auf seinem Schreibtisch liege eine Liste mit 16 Namen, allesamt Todeskandidaten, sagte er zu Blüm. Wenn Deutschland denen Asyl gewähren wolle, bitte schön … dann verzichte er auf die Hinrichtung.

Pinochet war sicher, dass Blüm das nicht schaffen würde und der Ruf des deutschen Ministers politisch arg ramponiert wäre. Und in der Tat, schon tobte in München CSU-Chef Franz Josef Strauß, dieser Blüm habe Deutschland in Chile ein unterschriftsreiches Millionengeschäft mit Lkw vermasselt.

In der Sondersitzung des Bundestages zur deutschen Chile-Politik trickste die CDU/CSU-Führung Blüm aus, er könne leider nicht ans Rednerpult. Da sprangen die Grünen ein und schenkten Blüm fünf Minuten ihrer Redezeit. Die reichten. Niedersachsens Ministerpräsident Ernst Albrecht ging nach dessen emotionaler Rede zu Blüm und sagte: "Ich mache das, ich nehme das auf meine Kappe und gebe den 16 Menschen Asyl."

Viele Jahre später, als Blüm seine Tochter besucht, die als Lehrerin in Chile arbeitete, fällt ihm in einer Markthalle in Santiago ein fremder Mann um den Hals: "Sind Sie Herr Blüm? Ich bin einer der 16, die hingerichtet werden sollten."

"Dem Mann beiß ich noch in die Hosen!"

Blüm war Katholik, gelernter Messdiener, zuständig für die Ungerechtigkeiten dieser Welt – überall in der Welt. Er fährt deshalb in die Nuba-Berge, um Aufmerksamkeit für den schrecklichen Krieg im Sudan zu erregen. Er besucht den Irak, um auf das dortige Elend nach dem Golfkrieg hinzuweisen. Er setzt sich für die Palästinenser ein, bis israelische Politiker ihn als Feind der Juden beschimpfen, was er ganz sicher nicht ist.

Er reist nach Südafrika und sagt dem dortigen Rassentrennungs-Regime die Meinung: "Das ist nicht christlich, was ihr macht." Und daheim in Deutschland droht er einem Bundesrichter, der mit ihm nicht öffentlich über seine Urteile diskutieren will: "Dem Mann beiß ich noch in die Hosen!"

So macht Blüm auch weiter, als seine politische Karriere längst vorbei ist, mischt sich ein, scheut auch Kritik an Parteifreunden nicht. Im Alter von 80 Jahren kampiert er im Flüchtlingszeltlager im griechischen Idomeni, um die furchtbaren Zustände dort in die deutschen Medien zu bringen. Denn was dort vorgehe, sei ein "Anschlag auf die Menschlichkeit" – sein Europa sei das nicht. Angesichts der heutigen Zustände in den Flüchtlingslagern auf den griechischen Inseln klingt dieser Satz verstörend aktuell.

Als Werkzeugmacher hatte Blüm begonnen, in Rüsselsheim bei Opel gearbeitet, aktiv in der Gewerkschaft und in der CDU, Abitur nachgemacht, Philosophie, Germanistik, Geschichte und Theologie studiert, den Doktortitel erworben, aber nie damit geprotzt. Wenn er nicht gerade "das Gute gegen das Böse" verteidigen musste, hat er lieber etwas wie das Ost-West-Kabarett mit dem linken Peter Sodann gemacht.

Oder sich Sprüche ausgedacht wie "Sei nett zu Tieren – du könntest selbst eins sein". An besonderen Feiertagen wie zum Beispiel seinem 80. Geburtstag gönnte Blüm sich eine kleine, private Radtour an der Sieg entlang, begleitet von Marita, mit der er seit 1964 verheiratet war.

Die Rente ist sicher – oder nicht

Manchmal litt er auch. Etwa bei der Rente, für die er 16 Jahre lang zuständig war als Minister für Arbeit und Soziales. Jahrelang hatte er es verkündet und 1986 sogar auf Tausenden Plakaten überall im Lande aufgehängt: "Denn eins ist sicher: Die Rente." 20 Jahre später musste er widerrufen: So richtig sicher ist sie nicht mehr, wenn sie immer kleiner wird und für viele Senioren kaum noch den Lebensunterhalt deckt.

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