Keisha Lance Bottoms: Bürgermeisterin von Atlanta und die Polizeigewalt in den USA
Ihre Gefühle in diesen Zeiten des Aufruhrs hat Keisha Lance Bottoms vor wenigen Tagen in ungewohnter Offenheit beschrieben.
Als sie von den geplanten Protesten nach dem Tod von George Floyd in Minneapolis gehört habe, "wusste ich, was alle Eltern eines schwarzen Kindes in Amerika wissen: Ich kann meinen Sohn nicht beschützen, und das, obwohl ich die Bürgermeisterin von Atlanta bin und die Polizeichefin mir unterstellt ist", schrieb sie in der "New York Times".
Wie sehr sie der Tod Floyds durch einen weißen Polizisten erschüttert hat, darüber sprach sie auf einer Pressekonferenz. "Ich bin eine Mutter von vier schwarzen Kindern", sagte sie. "Als ich den Mord an George Floyd sah, habe ich den Schmerz so empfunden, wie eine Mutter ihn empfindet."
Für die persönliche Art, in der sie als Afroamerikanerin auf die Polizeigewalt in den USA reagierte, hat Bottoms viel Zuspruch in Atlanta und darüber hinaus erfahren. Aber als Bürgermeisterin wird sie nicht an ihren Reden gemessen, sondern an der Art, wie sie die Probleme ihrer Stadt anpackt.
"Bis zum Freitag dachte ich, wir machen es richtig"
Und die sind groß. Atlanta wird seit einigen Wochen von zum Teil gewalttätigen Protesten erschüttert. Seit dem vergangenen Freitag muss die Bürgermeisterin auch einen Fall von tödlicher Polizeigewalt in ihrer eigenen Stadt bewältigen.
Der Afroamerikaner Rayshard Brooks wurde an diesem Tag bei einer Polizeikontrolle von einem Polizisten erschossen. Laut Obduktionsbericht trafen ihn zwei Schüsse in den Rücken.
Brooks war kontrolliert worden, weil er offenbar alkoholisiert in seinem Wagen vor einem Drive-in-Restaurant eingeschlafen war. Als ihm die beiden weißen Polizisten Handschellen anlegen wollten, kam es zu einem Gerangel.
Brooks griff sich die Elektroschockpistole eines Polizisten und rannte davon. Im Wegrennen zielte er mit dem Taser auf einen der Beamten, der ihn daraufhin erschoss. Ob der Polizist angeklagt wird, will die Staatsanwaltschaft in dieser Woche entscheiden.
Der Fall löste neue Proteste aus. Die Fast-Food-Filiale, vor der Brooks starb, wurde von Demonstranten niedergebrannt. Bürgermeisterin Bottoms reagierte schnell. Den Polizisten, der geschossen hatte, ließ sie feuern. Der Rücktritt der Polizeichefin folgte kurz darauf.
"Bis zum Freitag dachte ich, wir machen es richtig", sagte sie während einer virtuellen CNN-Town-Hall-Veranstaltung. Es gebe Antirassismus-Training für die Polizei. Viele Beamte lebten in städtischen Wohnungen in den Vierteln, in denen sie arbeiteten. "Aber ist es trotzdem nicht genug", sagte sie.
Der Wille zu einem Umbau der Polizei ist da
Bottoms' Worte beschreiben die komplizierte Lage, in der sich viele reformwillige Bürgermeister befinden. Der Wille zu einem Umbau der Polizei ist da, aber auf dieser Ebene lassen sich nicht alle Schwierigkeiten beseitigen. "Wir können die Probleme unseres Landes und die Frage, wie wir mit Rassismus umgehen, nicht allein mit besserer Ausbildung lösen", sagt sie.
Bislang hat Bottoms vieles richtig gemacht. Sie hat die Probleme klar benannt und rasch reagiert. Als ein Video auftauchte, in dem Polizisten zwei Demonstranten ohne nachvollziehbaren Grund gewaltsam aus ihrem Auto zerren, entließ sie die Beamten umgehend aus dem Polizeidienst. Gleichzeitig hat sie sich von den radikaleren Forderungen der Demonstranten nicht beeindrucken lassen.
Als in Atlanta nach dem Tod von George Floyd Autos brannten und Läden geplündert wurden, forderte sie in einem emotionalen Aufruf ein Ende der Gewalt. "Was ich in den Straßen von Atlanta sehe, ist nicht Atlanta. Das ist kein Protest. Das geschieht nicht im Geist von Martin Luther King. Das ist Chaos."
Sie hat sich von einfachen Slogans wie "Defund the Police" – weniger Geld für die Polizei – distanziert. "Die Sache ist etwas komplizierter", sagte sie im Magazin "Time".
Sie erzählte von ihrem Neffen, der von Mitgliedern einer Gang ermordet wurde. "Wer hat die Leute verhaftet, die verantwortlich waren? Die Polizei. Und diese Leute sind jetzt im Gefängnis", sagte Bottoms.
Es ist diese Mischung aus Emotionalität und Pragmatismus, die Bottoms als ideale "Running Mate" des demokratischen Präsidentschaftskandidaten Joe Biden erscheinen lässt.
Emotional und pragmatisch
Biden plädiert selbst für einen pragmatischen Kurs. Wie Bottoms weiß auch Biden, dass die meisten US-Amerikaner sich zwar eine reformierte Polizei wünschen. Sie wollen aber auch, dass die Polizei für ihre Sicherheit sorgt.
Bottoms hat sich zudem schon im vergangenen Jahr als eine der ersten schwarzen Politikerinnen für Biden als Präsidentschaftskandidaten ausgesprochen. Das ist für Biden, der eine Frau als Vizepräsidentin sucht, mit der er sich auch persönlich gut versteht, ein wichtiger Faktor.
Neben Bottoms sind noch andere Frauen im Rennen, auch andere Afroamerikanerinnen. Aber in den vergangenen Wochen hat sie sich aus einer Außenseiterrolle herausmanövriert, ist zu einer Mitfavoritin geworden.
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