Person of Color und Polizist: Mein Leben passt in keine Schublade
Wer bin ich eigentlich? Diese Frage hat mich erstaunlicherweise erst sehr spät beschäftigt. Erstaunlicherweise deshalb, weil ich früh lernen musste, dass mich die Welt als anders wahrnimmt. Greifen und benennen konnte ich das allerdings erst etwa im Alter von 20 Jahren. Aber lassen Sie mich mit der Zeit davor beginnen.
Ich bin gebürtiger Berliner – eine entscheidende Information, wird man doch häufiger gefragt, wo man eigentlich herkommt. Ich verorte eine solche Nachfrage übrigens nicht reflexartig im Rassismus. Die Motivation dahinter findet sich meines Erachtens und Erlebens im Spektrum von unbedarftem, aber aufrichtigem Interesse bis gezielter, streitsüchtiger Ausgrenzung.
1978 erblickte ich also als zweitjüngstes Kind von insgesamt fünf das Licht der Welt. Meine Mutter ist ebenfalls Berlinerin, mein Vater stammte aus dem Sudan. Ich bin in einer afrikanisch-arabisch-deutschen, multireligiösen Welt groß geworden. Unterschiedliche Hautfarben nahm ich gar nicht wahr, wir gehörten halt einfach zusammen.
Erst im Schulalltag hat man mir (unbewusst) vermittelt, dass ich anders bin: Ich wurde zum kleinen schokoladenfarbenen Lockenkopf. Zu diesem Zeitpunkt entschied meine Mutter, mich umzubenennen, mir lieber einen deutschen Vor- und Nachnamen zu geben, meine Identität anzupassen. Wer in Deutschland bei all den verbreiteten Vorurteilen Erfolg haben wolle, bräuchte so einen.
Aber ein Name ändert eben nicht die Hautfarbe. Also musste ich weitere ab-, ausgrenzende und letztlich rassistische Erfahrungen machen.
Der lässt bestimmt was mitgehen
Manch aufmerksamer Nachbar meinte, mich besonders gut im Blick behalten zu müssen. Mancher ging wie selbstverständlich davon aus, dass ich doch bestimmt Integrations- und Sprachprobleme haben müsse.
Ich war derjenige, der in Kaufhäusern doch sicherlich was einsteckt, der anderen den Arbeitsplatz wegnimmt, bei dem es fragwürdig ist, wie er sich dies oder das leisten kann, der nur im höheren Dienst der Polizei Berlin ist, weil er aussieht, wie er eben aussieht, bis hin zu dem, der als N. in diesem Land nichts zu suchen hat.
Und ja, auch ethnical profiling durch Polizisten gehört zu meinen Erfahrungen. Ein guter Freund von mir, mit dem ich dienstlich in einem anderen Bundesland war und der mich dort bei der Besichtigung einer Altstadt begleitet hatte – wir waren in zivil –, hat es auf den Punkt gebracht: Er war entsetzt.
Er hätte nie geglaubt, dass ethnical profiling so offensichtlich ist. Er – hellhäutig, mitteleuropäischer Phänotypus – war praktisch unsichtbar, beobachtet wurde lediglich ich. Schublade auf, Cablitz rein, Schublade zu. All das ist nur ein wirklich kleiner und subjektiver Ausschnitt des gesamtgesellschaftlichen Problems, der zudem Welten von dem entfernt ist, was Generationen vor mir erleiden mussten.
Tatsächlich habe ich in meinem Leben aber deutlich mehr positive Erfahrungen gemacht. Ich habe mit so vielen Menschen zu tun, die mir offen, unvoreingenommen begegnen, für die Hautfarbe kein Unterscheidungsmerkmal, sondern nur eine Facette unserer aller Vielfalt ist. Es gibt eben nicht nur Schwarz und Weiß. Deshalb bin ich persönlich der Auffassung, wir sollten unsere Wahrnehmungen immer hinterfragen und sie reflektieren, in Relation setzen, ohne sie zu relativieren.
Eine unfassbare und bizarre Erfahrung
Mit all diesen Erfahrungen stand mein vielleicht naiver, aber meines Erachtens idealistischer Entschluss fest: Ich wollte Menschen helfen, sie schützen. Ich wollte Hass bekämpfen. Ich wollte den mir möglichen Beitrag leisten, um Gerechtigkeit walten zu lassen. Ich wollte das verteidigen, wofür unsere demokratische Gesellschaft eigentlich steht – die unantastbare Würde aller Menschen.
Mit Anfang 20 begann ich deshalb das Studium zum Polizeikommissar, wurde Uniformträger und musste feststellen, dass meine Identität erneut auf die Probe gestellt wurde. Das galt polizeiintern, aber auch im Umgang mit all den Menschen in Berlin.
Besonders auffällig war das bei Versammlungen. Ich war sicherlich bei mehr als 100 Demonstrationen als Polizist im Einsatz, in der gesamten denkbaren thematischen und politischen Bandbreite. Wo es für mein Gegenüber opportun war, hat die Uniform meine Identität gelöscht, meine Hautfarbe weggewischt, meine Diskriminierungserfahrungen aufgelöst.
Ich wurde mit einem Mal Rassist, Nazi, willenloses Machtwerkzeug des faschistischen Repressionsapparats. Eine unfassbare und bizarre Erfahrung. Alles, wofür ich stand und stehe, wurde in Abrede gestellt. Schublade auf, Cablitz rein, Schublade zu.
Wenn jedoch die Hautfarbe dem Vorurteil gelegen kam, wurde genau darauf abgestellt. Meine Entscheidungen seien vorhersehbar, ich würde sie halt zugunsten meiner "Landsleute" treffen. Man wolle lieber mit einem "deutschen" Polizisten sprechen. Es wurde der hellhäutige Kollege angesprochen, auch wenn dieser darauf verwies, dass ich der Verantwortliche sei. Diese Art der Diskriminierung kannte ich ja schon.
In der Polizei hatte ich erst einmal mit mir selbst zu kämpfen. Ich dachte, ich müsste meine Identität hintanstellen, um Vorbehalte aufzubrechen, besser zu passen – manche nennen das Assimilierungsdruck. Ich bin mit dem Begriff vorsichtig, da es aufgrund der negativen Alltagserfahrungen schwer zu differenzieren ist, was faktischer oder nur angenommener Druck ist.
Anfänglich machte ich Späße über mich selbst, bis ich realisierte, dass dies eine Verleugnung meiner eigenen Identität ist und ich andere dadurch eventuell sogar dazu animiere, rassistische Witze über mich zu reißen.
Auch bei der Polizei gibt es Rassismus
Aber wie steht es um tatsächliche Vorbehalte, Vorurteile, Ablehnung zum Beispiel aufgrund der Hautfarbe oder gar Rassismus unter Polizisten? Alles das gibt es auch in der Polizei Berlin. Das zu leugnen, wäre naiv, dumm oder verlogen. Ich war mit allen vier Ausprägungen konfrontiert, habe sie aber direkt in Angriff genommen.
Wichtig ist doch, dass man das Verhalten reflektiert, die Person sachlich konfrontiert, ihr die (eigenen) Grenzen verdeutlicht und bei allen zu ziehenden Konsequenzen trotzdem versucht, Vorbehalte aufzubrechen.
In den fast 19 Jahren bei der Polizei Berlin waren es allerdings nur einige, wenige Fälle. Ich will damit nichts relativieren. Gerade an uns als Polizistinnen und Polizisten ist ein hoher ethisch-moralischer, (grund-)rechtskonformer Maßstab anzusetzen. Ich will aber von Ausgrenzung und Diskriminierung in der Gesellschaft – damit auch in der Polizei – ein realistisches Bild zeichnen und die Möglichkeit schaffen, es einzuordnen.
Ist es nicht auch das, worum es grundsätzlich gehen sollte? Die Berücksichtigung unterschiedlicher Perspektiven, das Übereinanderlegen verschiedener Informationen, das Zusammensetzen von Fakten zu einem Mosaik, das die Realität abbildet. Erst auf dieser Grundlage kann man doch ein Problem identifizieren, es benennen und schließlich in Angriff nehmen. Pauschalisieren, Verallgemeinern, von Einzelnen auf eine Gesamtheit schließen – all das bildet doch gerade den Nährboden für Vorbehalte, Vorurteile, Diskriminierung und Rassismus.
Vorurteile sind menschlich – und immer falsch
Hört auf, in Schubladen zu denken – egal, wofür ihr eintretet. Ich bin mir bewusst, dass Vorurteile menschlich sind. Sie machen den Alltag leichter, die Welt vermeintlich verständlicher. Trotzdem sind sie immer falsch. Die Welt ist komplex, sie ist wunderbar und grausam, sie ist bunt und eintönig, sie ist vielfältig und kompliziert. Und ja, sie ist schwer in ihrer Gänze zu erfassen.
Denn es gibt nun mal nicht den Schwarzen, den Weißen, den Uniformierten, wir sind alle Individuen, einzigartig. Ich bin froh, dass wir ein Rechtssystem haben, das diesem Gedanken Rechnung trägt. Ich bin froh, dass wir die Chance und die Möglichkeit haben, unsere Vielfalt gemeinsam zu leben. Wir müssen sie nur gemeinsam nutzen.
Diskriminierung und Rassismus sind ein gesamtgesellschaftliches Problem. Nur unser aller, dauerhafter Zusammenhalt kann dem ein Ende setzen. Es scheint so einfach, verlangt von uns allen kleine Schritte aufeinander zu, Offenheit, die Akzeptanz der und des anderen. Nicht nur heute, nicht nur punktuell.
Wir müssen so lange aufeinander zugehen, bis wir das Ziel erreicht haben: eine Gemeinschaft, in der wir alle einzigartig sein können und doch gleich sind.
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