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Das Schul-System hat in der Corona-Krise versagt – Kolumne

June 13
10:34 2020
Leeres Klassenzimmer in einer Schule in Gelsenkirchen Icon: vergrößern

Leeres Klassenzimmer in einer Schule in Gelsenkirchen

Caroline Seidel/ dpa

Deutschland atmet auf. Es ist ganz wunderbar, was nach dem Corona-Schreck jetzt wieder alles geht bei uns. Dem Besuch von Nagel- und Tattoostudios, von Spielhallen, Bars und Kneipen steht vielerorts nichts mehr im Wege. Auch Freizeitparks dürfen wieder öffnen, Freibäder, Fitness-, Yoga- und Tanzstudios ebenso. Einzelne Ausnahmen bestätigen die Regel. In einigen Ländern sind Wellnessoasen, Thermen, Saunen und Sonnenbänke nun Gott sei Dank wieder für ihre Kundschaft da. Und selbst einem Besuch im Hundesalon steht mancherorts nichts mehr im Wege. Die Politik in Bund und Ländern weiß eben, was wirklich wichtig ist.

Aber wir dürfen es auch nicht übertreiben. Wenn jetzt jeder machen dürfte, was gut für ihn ist, kämen wir in Teufels Küche. Corona ist schließlich nicht vorbei, ein bisschen Einschränkung darf man schon noch verlangen. Schülerinnen und Schüler müssen deshalb weiter zurückstecken, obwohl – das muss man kritisch anmerken – bislang unklar ist, ob sie das Virus stärker verbreiten als ausgewachsene Saunagänger. Die Forschung hinkt da noch hinterher. Aber man muss Prioritäten setzen.

In Sachsen, Sachsen-Anhalt und Schleswig-Holstein dürfen zumindest Grundschüler wieder täglich die Schule besuchen, ein paar Länder wollen noch vor den Sommerferien folgen. Was Schülern in den anderen Ländern geboten wird, ist nicht mal ein schlechter Witz, sondern ein hundsmiserabler. Auf Twitter wurde diese Woche das Ergebnis einer "exklusiven Spielplatzumfrage" in Berlin verbreitet. Das Ergebnis: Julia (2. Klasse) darf fünf Tage à drei Stunden zur Schule, gefolgt von einer Woche Heimunterricht, Florian (2. Klasse) darf drei Tage à vier Stunden am Unterricht teilnehmen, Anton (3. Klasse) einen Tag à drei Stunden, Johanna (3. Klasse) zwei Tage à vier Stunden, Marlen (4. Klasse) drei Tage à sechs Stunden, und für Nils (5. Klasse) fällt die Schule bis zu den Sommerferien komplett flach. Interessant ist noch, dass alle befragten Kinder aus demselben Bezirk stammen.

Man würde gern an einen Internetscherz glauben. Aber genau so ein Alibi-Schulbetrieb findet aktuell in Deutschland statt, nicht nur in Berlin, sondern in vielen Bundesländern.

Kein anderer Bereich unserer Gesellschaft hat in der Coronakrise annähernd so versagt wie das Schulsystem. Nirgendwo fiel es Verantwortlichen schwerer, sich flexibel und kreativ auf eine neue Lage einzustellen. Die Schuld trifft dabei nur teilweise die Lehrer. Gut, manch einer aus dem Kollegium verfiel nach der Schulschließung Anfang März erst mal in einen ausgiebigen Frühjahrsschlaf, den er nur einmal die Woche kurz unterbrechen musste, als es eine E-Mail mit PDF-Anhang zu verschicken galt, in dem sich schlecht kopierte Aufgabenblätter befanden, deren Bearbeitung nie kontrolliert wurde. Aber viele bewiesen auch Einsatz und Kreativität – sofern sie durften.

Die eigentlichen Versager sitzen in den Ministerien, Behörden und Schulleitungen. Das aktuelle Maß an Verantwortungslosigkeit bei gleichzeitiger Teilnahmslosigkeit würde sich in jedem Zeugnis verheerend niederschlagen. Mitarbeit: mangelhaft. Versetzung: gefährdet.

Icon: Der Spiegel

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