Corona-Boom bei Eismann: Wenn der Eismann wieder klingelt

Ein Eismann-Fahrer bringt Ware zum Kunden
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Das Geschäftsmodell der Firma Eismann ist etwa so modern wie die alte BRD: Als der Tiefkühl-Heimdienst 1974 gegründet wurde, passte er mit seinen Kabeljau-Knusperhappen perfekt in die Zeit: Die Frauen waren damals oft zu Hause, die Auswahl im Dorfladen war klein – und Tiefkühlessen irgendwie modern.
Doch seitdem hat sich viel geändert in Deutschland: Das reine Hausfrauen-Modell ist aus der Mode gekommen, Tiefkühlkost gibt es mittlerweile längst auch bei Supermärkten und Discountern. Und Eismann gilt vor allem in der jungen Generation mittlerweile als antiquiert. Entsprechend schrumpften die Umsätze Jahr für Jahr. Bis jetzt.
Denn die Coronakrise hat dem kriselnden Tiefkühl-Spezialisten ein überraschendes Comeback verschafft: Hamsterkäufe und die Angst vor Ansteckung im Supermarkt ließen die Umsätze an der Haustür seit Mitte März um 35 Prozent steigen, die Onlinebestellungen haben sich mehr als verdoppelt, teilt Eismann mit. "Seit der Coronakrise geht das Geschäft durch die Decke", sagt Elmar Westermeyer, Geschäftsführer von Eismann. "Wir brauchen dringend mehr Eismänner, um die Neukunden bedienen zu können."
Abgehängt von Bofrost
Bringen Kontaktbeschränkungen und Homeoffice für Eismann also die Wende? Oder ist der jüngste Boom nur ein kurzes Aufflammen eines sterbenden Geschäftsmodells, das mit abnehmendem Ansteckungsrisiko wieder erlischt?
Die Krise scheint der Branche insgesamt gutzutun – der deutlich größere Konkurrent Bofrost vermeldet ähnliche Corona-Umsatzsprünge. Doch anders als Bofrost plagen Eismann auch viele strukturelle Probleme. Seit Jahren fällt die Firma aus Mettmann bei Düsseldorf vor allem mit Negativmeldungen über rapide schrumpfendes Geschäft, wachsende Schulden und ständige Eigentümerwechsel auf. Von 2014 bis 2019 sank der Umsatz in Deutschland von gut 196 Millionen auf knapp 163 Millionen Euro.
Konkurrent Bofrost, mit rund 70 Prozent Marktanteil am TK-Liefergeschäft die unangefochtene Nummer eins, wuchs Eismann davon. Dazu drängen neue Wettbewerber wie Amazon Fresh oder der Rewe Lieferdienst auf den Markt – Vollsortimenter, die neben Tiefgekühltem auch frische Milch, Obst und Gemüse liefern können.
Die Folge: Im Sommer 2019 stand Eismann praktisch vor dem Aus. Erfolglos hatte der Private-Equity-Eigentümer Gilde Buy Out Partners, ein niederländischer Investor, für die hoch verschuldete Firma nach einem Käufer gesucht. Gleichzeitig machten die Banken Druck – und wollten offenbar ihre millionenschweren Kredite loswerden. Die Anwaltskanzlei Freshfields beriet schließlich bei der Übernahme durch die Frankfurter Cornelius Treuhand Holding – eine Art Restrukturierung ohne Insolvenz.
Dabei brachte ein kleiner zweistelliger Millionenbetrag frische Liquidität für die Firma – und ein beträchtlicher Schuldenschnitt neuen Bewegungsspielraum. "Im Januar ist die Schuldenrate auf unter zwanzig Prozent gesunken, jetzt können wir freier handeln. Mit dem neuen Eigentümer fühlen wir uns pudelwohl", sagt Geschäftsführer Westermeyer.
Die große Discounterdichte setzt Eismann zu
Als Westermeyer im Jahr 2004 als Trainee bei Eismann anfing, hatte der Abstieg schon begonnen. Zu stark wurde die doppelte Konkurrenz aus billigen Tiefkühlangeboten der Discounter auf der einen und dem Gegenspieler Bofrost auf der anderen Seite.
Seit Ende der Neunzigerjahre versuchte sich eine ganze Reihe an Eigentümern daran, das Unternehmen wieder auf Kurs zu bringen: Nach Zwischenstationen bei Schoeller und später bei Nestlé kauften und verkauften verschiedene Finanzinvestoren den Tiefkühlspezialisten. Zuletzt übernahm Gilde 2011 die Mehrheit bei Eismann. Doch die Wende brachte auch das nicht.
Während Eismanns Umsätze schrumpften, blieben die von Bofrost stabil. Das lag auch an der stabilen Eigentümerstruktur: Die Bofrost-Gründerfamilie hat die Führung des Unternehmens 2004 an eine Familienstiftung übertragen, die vor Zerschlagung und wechselnden Eigentümern schützt. Und weitsichtiger agiert als die Investoren, die sich bei Eismann die Klinke in die Hand gaben. Während Eismann sparen musste, war bei Bofrost mehr Geld vorhanden für Digitalisierung und neue Produkte. Denn die immer spezielleren Ernährungsgewohnheiten der Deutschen erfordern ein immer breiteres Produktsortiment, was mehr Lager und eine kompliziertere Logistik nach sich zieht – also Geld kostet. Doch das hat sich Bofrost offenbar geleistet: Heute hat die Firma übers Jahr rund 1000 Produkte im Angebot, Eismann dagegen nur etwa 700.
Angesichts hoher Schulden musste Eismann zudem ab 2013 sein zu kleines Auslandsgeschäft in der Schweiz, Belgien und Spanien an Bofrost verkaufen – statt es mit Investitionen größer und profitabler zu machen. Seitdem ist Eismann neben Deutschland nur noch in Österreich, Italien und den Niederlanden vertreten, Bofrosts Geschäft dagegen konnte auf Kosten des Konkurrenten in zwölf Länder expandieren. Und diese Größe hilft: Denn die höheren Auftragsvolumen verschaffen bessere Bedingungen bei kritischen Produktionsanlagen.
Passt das Eismann-Modell noch zur doppelberufstätigen Familie?
Eismanns Umsätze schrumpften über die Jahre, trotzdem änderte die Firma an dem längst altertümlichen Geschäftsmodell praktisch nichts: Weit über 90 Prozent der Umsätze laufen noch heute über die Haustürbelieferung zu festen Terminen, und zwar alle zwei bis drei Wochen. Passt das noch in eine Zeit, in der 80 Prozent der Frauen berufstätig sind, die nächste Discounter-Tiefkühltruhe mit dem Auto spontan und schnell erreichbar ist und viele Menschen zunehmenden Wert auf frische Produkte legen?
"Der Direktvertrieb wird immer unser Kerngeschäft bleiben", ist Westermeyer überzeugt. Eismann versucht sich dennoch anzupassen, indem er Liefertermine bis 20 Uhr vergibt und auch an Samstagen ausfährt. Indem er im Sortiment seiner knallroten Tiefkühl-Lastwagen neben Schlemmerfilets und Kroketten natürlich auch Veggie-Burger vorhält. Und mit neuer App und Onlineshop in Digitalisierung investiert. Außerdem verkauft Eismann seit 2017 auch in den Supermärkten Rewe und Edeka – also dort, wo der Großteil der Tiefkühlmarkt-Umsätze mit Marken wie Iglo und Frosta sowie den Eigenmarken generiert wird.
Doch das Supermarkt-Geschäft bleibt mit 550 Märkten klein – die Umsätze lägen "im einstelligen Prozentbereich", sagt ein Sprecher. Es gehe eher um ein "Ergänzungsangebot". Man wolle die Marke damit vor allem in Großstädten besser verfügbar machen, wo wegen Stadtverkehrs kaum Eismann-Verkäufer unterwegs seien. Tatsächlich ist manch zentrale Innenstadtlage Eismann-Niemandsland – und wird schlicht nicht angefahren. Bofrost dagegen betont, man sei "flächendeckend in Deutschland, sowohl in Städten als auch in ländlichen Regionen, präsent", und habe in der Krise überall gleichermaßen zugelegt. Supermärkte beliefert Bofrost nicht – man wolle sich nicht selbst Konkurrenz machen, sagt ein Sprecher.
"Was Amazon Fresh macht, merken wir nicht"
Deutlich entspannter als auf Bofrost schaut man bei Eismann auf die wachsende Konkurrenz der Lieferdienste von Amazon Fresh oder Rewe: "Die sind nur in Großstädten aktiv. Was die machen, merken wir nicht", sagt Chef Westermeyer. Er setzt eindeutig aufs Land: "Bis da ein Konkurrent fünfzig Kunden auf der Schwäbischen Alb aufbaut, das dauert."
Zwar gibt es auf der grünen Wiese inzwischen überall große Supermärkte. Aber der fußläufig erreichbare Dorfladen ist vielerorts verschwunden, was für die ländliche Senioren-Kernkundschaft von Eismann ein Problem – und für Eismann ein Vorteil ist. Wachsen werde man in Zukunft dank des "demografischen Wandels und der abnehmenden Supermarktdichte auf dem Land", heißt es im Strategiepapier "Eismanns Neuorientierung" von Januar 2020. Mit anderen Worten: Deutschland wird älter, das ist unsere Chance. Passend dazu heuerte Westermeyer den nicht mehr gerade jugendlichen Ex-Fußball-Manager Reiner Calmund als Werbeikone an.
Engpass Eismänner
Es hängt also weiterhin alles an der Hausfrau, wie in den Siebzigerjahren – und an den Eismännern, wie man die fahrenden Verkäufer im Unternehmen nennt, selbst wenn sie mittlerweile manchmal weiblich sind. Auch das sagt vielleicht etwas über das Unternehmen und dessen Modernität.
Die Eismänner und Eisfrauen sind derzeit wohl der größte Engpass. Denn neue Verkäufer zu finden, ist schon seit Jahren ein Problem: "Der hart umkämpfte Arbeitsmarkt war jahrelang eine echte Herausforderung", sagt Westermeyer. Auch Bofrost gibt die Suche nach Fahrerinnen und Fahrern als zentrales Problem an.
Doch bei Eismann ist dieses Problem noch aus einem anderen Grund besonders groß: Alle Eismänner sind selbstständig – während sie bei Bofrost angestellt sind. Das sei ein strukturelles Problem bei Eismann, betonen gleich mehrere Insider. Denn um als Eismann-Fahrer erfolgreich zu sein, müsse man zunächst zwei bis drei Jahre investieren und seine Kunden und deren Vorlieben kennenlernen – dann könne man durchaus gut verdienen. Aber vorher sei es eben herausfordernd, mit Anfangsinvestitionen und ohne Grundvergütung. Entsprechend gering sei der Run auf die Eismann-Jobs bei leergefegtem Arbeitsmarkt.
Doch auch hier könnte die Coronakrise der Firma in die Hände spielen. Denn erstmals seit Jahren steigt die Zahl der Arbeitslosen wieder deutlich. Wenn sich jetzt mehr Verkäufer bewerben, könnte das den kleinen Corona-Boom sogar in die Zukunft verlängern – so zumindest sieht es der Chef. Zwar sei der Mai-Umsatz mit einem Plus von 28 Prozent fast genauso hoch wie im April. "Aber langfristig wachsen werden wir nur mit mehr Kunden. Das passiert jetzt endlich. Damit wir diese schnell bedienen können, suchen wir so schnell wie möglich bis zu 150 neue Eismänner", sagt Westermeyer. "Sonst kriegen wir irgendwann ein Problem."
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