Hofreiter über Frankreich-Wahl: “Macron hat ein Referendum über Le Pen abgehalten – und gewonnen”
Politik

Hat weder Links noch Rechts gewählt, sondern das eigene Parteienbündnis: Präsident Macron bei der Stimmenabgabe am 8. Juli.
Der Wahlsonntag in Frankreich sei ein "guter Tag" für Europa, befindet Grünen-Europapolitikern Anton Hofreiter im ntv.de-Interview. Marine Le Pen habe das Referendum über die Rechtsradikalen verloren. Das als stärkste Kraft hervorgegangene Linksbündnis verortet Hofreiter in der politischen Mitte. Dennoch sieht der Grünen-Politiker das Land vor großen Herausforderungen.
ntv.de: Marine Le Pens Partei Rassemblement National (RN) ist in der zweiten Runde der französischen Parlamentswahlen überraschend nur drittstärkste Kraft geworden. War das gestern also ein guter Tag für Europa?
Anton Hofreiter: Es war zumindest ein deutlich besserer Tag für Europa, als es viele erwartet haben. Es stand schließlich im Raum, dass die Rechtsradikalen in Frankreich die absolute Mehrheit bekommen oder zumindest nahe an diese herankommen. Auch ein dritter Platz ist immer noch viel zu viel, wenn man sich die Geschichte der Partei anschaut und welche politischen Ziele sie weiterhin verfolgt. Trotzdem: Angesichts der Befürchtungen war dieser Wahlsonntag ein guter Tag.
Der RN hat dennoch sein historisch bestes Ergebnis eingefahren, beim Wahlsieger Front Populaire mischt die linkspopulistische La France insoumise mit. Die politischen Extreme haben auf Kosten der Mitte zugelegt.
Man sollte auf keinen Fall die Faschisten mit dem Linksbündnis gleichsetzen. Das wäre ein schwerer Fehler. Jean-Luc Mélenchon, der Gründer von La France insoumise, ist in vielerlei Hinsicht eine problematische Person. Die Partei hat auch eine Reihe weiterer problematischer Kandidaten. Aber das Linksbündnis ist differenziert zu betrachten: Innerhalb des Front Populaire sind Grüne und Sozialdemokraten stark. Deswegen kann man nicht pauschal sagen, die Parteien der demokratischen Mitte seien schwächer geworden, auch wenn das Bündnis um Macron geschrumpft ist.
Präsident Emmanuel Macron hat mit den Neuwahlen die Franzosen vor die Wahl gestellt: „Wollt ihr euch wirklich von Le Pens Partei regieren lassen, auch wenn ihr sie zur Europawahl auf Platz eins gewählt habt?“ Ein kluges Vorgehen?
Das war eine Hochrisikoentscheidung von Macron. Er hat damit viele Menschen überrascht und teilweise auch entsetzt. Er hat damit auch nicht bekommen, was er sich insgeheim erhofft hatte: eine klare Mehrheit und stabile Verhältnisse im Parlament, die er ja vorher auch nicht hatte. Was er aber erreicht hat: Die Menschen in Frankreich haben nach diesem schwierigen Europawahlergebnis ein deutliches Zeichen gegen die Rechtsradikalen gesetzt. Die Wahlbeteiligung war so hoch wie seit Jahrzehnten nicht. Macron hat ein Referendum über Le Pen abgehalten – und gewonnen.
Um den RN von der Macht fernzuhalten, muss eine Regierung aus unterschiedlichen Parteilagern gebildet werden. Dem Land geht aber die politische Kultur des Kompromisses ab. Muss Frankreich dazulernen?

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Es ist wichtig, dass die demokratischen Parteien mit diesem Ergebnis sehr verantwortungsvoll umgehen. Kompromisse und Zusammenarbeit waren in der Vergangenheit aufgrund des Mehrheitswahlsystems nicht notwendig. Frankreich steht heute vor den Problemen aus zwei Welten: Die Mehrheitswahl bildet das Wahlergebnis der Parteien nicht proportional ab. Trotzdem wird das Parlament, die Assemblée Nationale, von einer zersplitterten Parteienlandschaft geprägt. Das ist schon verblüffend. Damit gewinnen die Debatten über eine Reform des Wahlsystems, die es in den vergangenen Jahren immer wieder gegeben hat, noch einmal an Bedeutung.
Das Linksbündnis geht maßgeblich auf eine Initiative der Grünen-Politikerin Marine Tondelier zurück. Dabei sind die Grünen in Frankreich eine relativ kleine Partei. Was sagt Ihnen das?
Die Grünen sind in Europa oft staatstragend und arbeiten hart an Kompromissen. Zugleich haben wir ein großes Bewusstsein dafür, dass die Rechtsradikalen eine Riesengefahr für unsere Demokratie und Freiheit darstellen. Daher überrascht es mich nicht, dass die Grünen in Frankreich so eine positive Rolle gespielt haben.
Mit Anton Hofreiter sprach Sebastian Huld
Quelle: ntv.de