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Hartz IV: Antworten auf die wichtigsten Fragen in Grafiken

June 03
19:56 2020

DER SPIEGEL

Es ist meist Textbaustein-Prosa, die am Ende eines Jobs steht – zum Beispiel: "Hiermit kündigen wir das mit Ihnen bestehende Arbeitsverhältnis unter Berücksichtigung der vertraglich vereinbarten Frist. Die Kündigung wurde aus betriebsbedingten Gründen notwendig." Das Weiterlesen fällt schwer nach diesem Einstieg, aber allzu viel kommt in solchen Standard-Kündigungsschreiben auch nicht mehr. Außer natürlich "für Ihre berufliche Zukunft alles Gute".

Viele Deutsche bekommen jetzt gerade solche Briefe, seit März steigt die Zahl der Arbeitslosen wegen der Coronakrise deutlich, inzwischen sind 2.813.000 Menschen ohne Job, gut 169.000 mehr als im Monat zuvor, 577.000 mehr als im Vorjahr – und es werden immer mehr. Tourismus, Veranstaltungen, Autobauer, Luftfahrt: Der Corona-Schock trifft viele eigentlich solide Branchen, die eben noch junge Fachkräfte umworben haben – um jetzt Verträge nicht zu verlängern oder betriebsbedingt zu kündigen. Hinzu kommen die Solo-Selbstständigen, denen Corona das Geschäftsmodell demontiert.

Neben all den Sorgen und Ängsten, die sich in so einer Situation aufbauen, haben diese Menschen vor allem: Fragen. Wie geht es jetzt weiter? Wer hilft mir? Und was erwartet mich in den kommenden Monaten? Die Antworten in Grafiken:

Hartz IV oder Arbeitslosengeld?

Wer jetzt seinen Job verliert, rutscht nicht automatisch ab in Hartz IV. Wenn Sie in den zweieinhalb Jahren zuvor mindestens zwölf Monate gearbeitet und währenddessen in die Sozialkasse eingezahlt haben, bekommen Sie zunächst Arbeitslosengeld. Wie viel? Der Reihe nach: Was haben Sie brutto in den vergangenen zwölf Monaten verdient? Vom Ergebnis 20 Prozent für die Sozialversicherung sowie die Lohnsteuer abziehen, das ist dann Ihr Nettolohn. Und von dem bekommen Sie 60 Prozent. Wenn Sie oder Ihr Partner Kinder haben, sind es 67 Prozent.

Voraussetzung: Sie müssen sich arbeitslos melden bei der Bundesagentur für Arbeit. Sind Sie jünger als 50 Jahre, wird das Arbeitslosengeld bis zu zwölf Monate lang gezahlt, bei Älteren steigt die Dauer schrittweise auf bis zu zwei Jahre.

Aber was ist mit all den Solo-Selbstständigen, Künstlern oder Mini-Jobbern, die etwa in der Gastronomie gearbeitet haben und jetzt auf der Straße stehen? Sie haben in den vergangenen Jahren oft nicht in die Sozialkassen eingezahlt – und damit auch keinen Anspruch auf das Arbeitslosengeld.

Was ihnen nun zusteht, hat verwirrend viele Namen: Arbeitslosengeld II, Grundsicherung oder eben Hartz IV, suchen Sie sich etwas aus. Zuständig dafür ist das örtliche Jobcenter. Das ist auch in der Coronakrise geöffnet, zumindest telefonisch oder online, und berechnet auch, wie viel Geld Sie bekommen. Für Alleinstehende gilt der monatliche Satz von 432 Euro, Kinder und Jugendliche bekommen je nach Alter zwischen 250 und 328 Euro.

Die genaue Berechnung ist allerdings komplex: Wohnen Sie allein? Wie hoch sind Ihre Heizkosten? Sind Sie schwanger? Sind Sie unter 25? Haben Sie Kinder? Müssen Sie wegen einer Krankheit eine besondere Diät beachten? Starten Sie unseren ALG-II-Rechner:

Was ist Vermögen?

Ist ein amerikanischer Pick-Up ein angemessenes Auto? Oder ein Porsche? Müssen Hartz-IV-Empfänger ihr Haus verkaufen? Grundsätzlich gilt: Die Grundsicherung wird nur gezahlt, wenn der Empfänger nicht Vermögenswerte über einer bestimmten Grenze hat. Wo diese Grenze liegt? Das Schonvermögen beträgt 150 Euro pro Lebensjahr plus 750 Euro für unerwartete Ausgaben – sei es die Waschmaschine, die plötzlich ausfällt oder der Herd. Für Kinder sind jeweils 3100 Euro vorgesehen.

Und Häuser, Eigentumswohnungen, Autos, Lebensversicherungen? Nicht alles muss sofort verkauft werden – aber es kommt laut Gesetz immer darauf an, was "angemessen" ist. Angemessen: in der Regel ein eigenes Auto mit einem Verkehrswert von bis zu 7500 Euro. Jede erwerbsfähige Person in einer Familie kann so ein Auto besitzen. Nicht angemessen: ein teurer Neuwagen, selbst wenn Sie ihn gekauft haben, bevor Sie den Job verloren haben.

Beim Haus kommt es nicht auf den Wert, sondern auf die Größe an: Leben Sie mit Ihrem Ehemann und zwei Kindern auf 120 Quadratmetern im eigenen Haus, so ist die Unterkunft angemessen. Leben Sie im gleichen Haus allerdings zu zweit, ist das zu groß. Die Formel: 90 Quadratmeter für zwei, 110 qm für drei, 130 qm für vier. Eigentumswohnungen, die Sie vermieten, oder Ferienhäuser, also alles, was Sie nicht dauerhaft selbst nutzen, zählen ebenfalls zum verwertbaren Vermögen.

Und natürlich Gold, Aktien oder Bargeld. Wenn Sie allerdings eine Riester-Rente abgeschlossen haben, wird die nicht angetastet. Sie kann weiterlaufen und muss auch nicht vorzeitig ausgezahlt werden. Eine private Lebensversicherung hingegen muss verwertet werden. Klingt alles etwas verwirrend? Hier noch einmal die Übersicht:

Was sind die Corona-Ausnahmen?

Im Moment allerdings ist vieles anders: Wenn Sie Ihren Antrag auf Grundsicherung zwischen dem 1. März und 30. Juni 2020 stellen, entfällt die Vermögensprüfung. Beim Antrag müssen Sie lediglich angeben, ob Sie über erhebliches Vermögen verfügen. Was mit erheblich gemeint ist? Alle sofort verwertbaren Mittel über 60.000 Euro. Wenn Sie nichts ankreuzen, gibt es zunächst keine Prüfung, Sie können Ihr Auto, egal wie teuer, behalten, und auch im Haus wohnen bleiben, egal wie groß es ist. Und: Es wird normalerweise auch nicht nachträglich kontrolliert.

Ist nach sechs Monaten dann aber eine Verlängerung fällig, wird wieder geprüft. So regelt es das Sozialschutzpaket, das Ende März in Kraft getreten ist. Warum? Bedürftigen, Selbstständigen, denen die Einnahmen wegbrechen, soll in der Coronakrise erleichtert werden, Hilfe zu bekommen. Weniger Bürokratie, schnellere Abläufe. Ob diese Regelungen für die Zeit nach dem 30. Juni noch einmal verlängert werden? Das ist jetzt noch nicht entschieden.

Und was ist eine Bedarfsgemeinschaft?

Noch einer dieser technokratischen Begriffe, eine sprachliche Hülle für alle Eventualitäten des menschlichen Zusammenlebens: Bedarfsgemeinschaft. Wer ist gemeint? Alle Menschen, die zusammen in einem Haushalt leben und füreinander einstehen. Das bedeutet: Arbeitslohn, Sozialleistungen oder Ähnliches kommen der Gemeinschaft zugute.

Der Klassiker sind natürlich verheiratete Paare, die nicht dauerhaft getrennt voneinander leben. Aber auch eingetragene gleichgeschlechtliche Paare oder Menschen, die in einer sogenannten eheähnlichen Gemeinschaft leben und gemeinsam wirtschaften, gelten als Bedarfsgemeinschaft. Kinder gehören dazu, solange sie jünger als 25 Jahre sind, unverheiratet, noch zu Hause wohnen und ihren Lebensunterhalt nicht selbst bestreiten.

Und wie lange wird das Arbeitslosengeld II gezahlt? In der Regel gilt: zwölf Monate. Laut Sozialgesetzbuch II kann der Zeitraum aber auch sechs Monate betragen, wenn der Antrag nur vorläufig bewilligt wurde oder unangemessene Ausgaben für Heizung oder Wohnen bestehen. Sind die zwölf Monate um und es hat sich nichts an der Situation geändert, wird weiterbewilligt, wenn Sie einen Antrag stellen, wiederum für die nächsten zwölf Monate. Corona-Ausnahme: Bis zum 30. Juni bewilligt das Jobcenter auch ohne Antrag weiter.

Wie lange die Coronakrise noch das Leben, die Wirtschaft und den Arbeitsmarkt beherrschen wird? Wer kann das schon sagen. Mit dem Sozialschutzpaket, das Ende März in Kraft getreten ist, ist für Hartz-IV-Antragsteller momentan Vieles vereinfacht, Hürden wie die Vermögens- oder Wohnraumprüfung entfallen zunächst. Die Verfahren in den Jobcentern werden so beschleunigt, Online-Anträge werden schneller bearbeitet. Das zeigt zumindest: Es gibt Stellschrauben, an denen es sich zu drehen lohnt.

Sie haben weitere Fragen? Oder Sie sind betroffen und wollen uns von Ihrer Situation erzählen? Schreiben Sie uns unter ploetzlichhartziv@spiegel.de.

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