Coronavirus-Pandemieverlauf: Das Virus ist so gefährlich wie zuvor

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Antonio Parrinello/ REUTERS
Das Virus werde weniger gefährlich und sei mittlerweile wesentlich seltener tödlich als noch vor wenigen Wochen. Mit diesen Aussagen hatte Alberto Zangrillo, Leiter der intensivmedizinischen Abteilung am Krankenhaus San Raffaele in Mailand, am Wochenende heftige Diskussionen in Italien ausgelöst. Jetzt haben auch internationale Infektiologen und die Weltgesundheitsorganisation (WHO) den Professor für seine Aussagen kritisiert.
Die WHO-Epidemiologin Maria Van Kerkhove sagte in einer virtuellen Pressekonferenz am Montag, es seien keine Daten vorhanden, die zeigten, dass sich das neuartige Coronavirus deutlich verändert habe. "Es hat sich weder die Übertragbarkeit des Virus noch die Schwere der Erkrankung verändert", so Van Kerkhove. Und der WHO-Experte Michael Ryan sagte: "Wir müssen ganz besonders vorsichtig sein, nicht den Eindruck zu vermitteln, dass das Virus von sich aus plötzlich beschlossen hat, weniger krank zu machen. Das ist überhaupt nicht der Fall."
Viren mutieren – Sars-CoV-2 auch?
Zangrillo hatte am Sonntag gegenüber dem Fernsehsender Rai 3 gesagt: "In den Rachenabstrichen der vergangenen zehn Tage war die Viruslast verschwindend gering verglichen mit denen von vor ein oder zwei Monaten." Das Virus existiere klinisch nicht mehr, so Zangrillo, der Italienern auch deshalb bekannt ist, weil er den ehemaligen Ministerpräsidenten Silvio Berlusconi behandelt hat.
Die Beobachtungen könnten entweder auf andere Charakteristiken des Virus zurückzuführen sein, die bislang noch nicht entdeckt wurden, sagte Zangrillo, oder auf andere Charakteristiken bei den Infizierten. "Die Interaktion zwischen dem Virus und dem Wirt hat sich definitiv verändert", sagte der Arzt am Montag zur Nachrichtenagentur Reuters.
Tatsächlich ist es nicht ungewöhnlich, dass Viren mutieren und sich an ihre Umgebung anpassen. Bekannt ist das etwa von HIV oder Influenza-Viren. Bei Sars-CoV-2 allerdings haben Wissenschaftler erst vergleichsweise wenige, entscheidende Änderungen beobachtet: "Obwohl es einige Veränderungen im Genom der Viren gibt, gibt es bislang keinen Nachweis dafür, dass sich bestimmte Fähigkeiten verstärkt oder abgeschwächt haben wie etwa die Übertragbarkeit oder die Krankheitsschwere", schreibt die Virologin Elisabetta Groppelli von der St. George's University of London in einer Stellungnahme gegenüber dem britischen "Science Media Center".
Auch der Infektiologe Martin Hibberd von der London School of Hygiene and Tropical Medicine schreibt: "Daten von 35.000 Virusgenomen haben keinen Nachweis dafür geliefert, dass sich die Schwere der Erkrankungen verändert hat." Auch wenn sich das noch ändern könne, sehe es derzeit so aus, als müsse es andere Gründe dafür geben, dass die von Zangrillo beschriebenen Fälle so anders verlaufen sind.
"Eine Erklärung könnte die abnehmende Zahl der Infektionen sein", so Hibberd. Während bei einem großen Ausbruch diejenigen Infizierten ohne oder mit nur milden Symptomen wahrscheinlich übersehen würden, habe man bei sinkenden Fallzahlen nun auch die Zeit, Menschen mit weniger schweren Problemen zu beobachten. "Und das könnte den Eindruck erwecken, dass sich das Virus verändert."
Francois Balloux vom University College London ergänzt, dass auch die Rolle der Jahreszeit weiterhin diskutiert werden müsse. Denn die Gründe, warum sich der Ausbruch in Italien ebenso wie in anderen europäischen Ländern trotz gelockerter Social-Distancing-Maßnahmen weiterhin reduziert habe, seien noch unklar. Insbesondere über die Antwort auf die Frage nach dem Einfluss der Temperaturen sind sich Experten uneins.
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