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Zu Gast bei Putschisten

April 15
07:56 2023

Bis zum nächsten Mai will die Bundeswehr ihren letzten großen Auslandseinsatz beenden und tausend Männer und Frauen aus Mali abziehen. Doch spielt die Regierung in Bamako mit?

Der Chef des Generalstabs kontrolliert an diesem Freitagmorgen persönlich die Ehrengarde, die im Hof des Verteidigungsministeriums angetreten ist. Es ist kurz nach acht in Malis Hauptstadt Bamako, und das Thermometer arbeitet sich langsam, aber unerbittlich den 41 Grad entgegen, die es am Mittag erreichen wird.

Beherzt schmettert die Militärkapelle einen morgendlichen Marsch, als der General die Front abschreitet. Hinter ihm läuft ein Offizier, der im Takt der Musik einen gewaltigen Säbel schwingt. Der General ist unzufrieden, er bleibt stehen, raunzt einen Soldaten an, weil der seine Kalaschnikow falsch hält. Ein Offizier aus seiner Entourage zuppelt mit weißen Handschuhen an der Uniform des Mannes. Dann ist alles bereit. Der Gast aus Deutschland kann kommen.

Boris Pistorius wird von seinem Amtskollegen begrüßt. Der malische Verteidigungsminister ist Mitte 40, ein hochgewachsener, schlanker Oberst, der bei den Special Forces gedient hat. Er empfängt seinen Gast im Kampfanzug, einen leichten Schal um den Hals geschlungen.

Sadio Camara ist einer von fünf Obersten, die sich 2020 in Mali an die Macht geputscht haben. Mit dreien von ihnen wird Pistorius an diesem Freitag reden – über die Rolle deutscher Soldaten in Mali. Mit Camara am Morgen, dem Territorialminister am Vormittag und Staatspräsident Assimi Goïta am Nachmittag.

Beobachter rätseln, wer in Mali tatsächlich die Fäden in der Hand hält

Westliche Beobachter rätseln, wer den fünf Offizieren in Mali tatsächlich die Fäden in der Hand hält. Ist es der Präsident, wofür einiges spricht, oder ist es in Wahrheit einer der vier anderen Oberste, die alle in etwa gleich alt sind?

Auch Pistorius wird diese Frage am Ende des Tages nicht beantworten können. Aber er und die anderen Deutschen in seiner Delegation bekommen bei ihren Gesprächen an diesem Freitag zumindest eine Ahnung davon, wie das Regime in Mali derzeit tickt.

In Gao, im Norden des Landes, sind immer noch etwa tausend deutsche Soldaten stationiert. Ihr Abzug ist beschlossene Sache, spätestens im Mai nächsten Jahres soll der letzte große Auslandseinsatz der Bundeswehr beendet sein.

Seit dem 23. Dezember dürfen die deutschen Heron-Aufklärungsdrohnen in Gao nicht mehr fliegen. Die malische Regierung verweigert die Genehmigung oder beantwortet die Anfragen der Deutschen erst gar nicht. Ohne die Drohnenflüge aber macht die Beteiligung an der Uno-Friedensmission MINUSMA keinen Sinn mehr, denn genau das ist der Auftrag, den die Bundeswehr übernommen hat.

Alle anderen westlichen Länder haben ihre Soldaten bereits abgezogen oder sind wie die Briten oder Schweden kurz davor. Die Deutschen sind die letzten, die noch die Stellung halten. Weil die Putsch-Regierung in Bamako Neuwahlen immer weiter herausschiebt und gleichzeitig Waffen und Militärhilfe aus Moskau bezieht, gilt das riesige westafrikanische Land in Europa kaum noch als satisfaktionsfähig.

Wie also ticken die Machthaber in Bamako? Um das herauszubekommen, ist Pistorius in die malische Hauptstadt gereist, zusammen mit seiner sozialdemokratischen Parteifreundin, Entwicklungsministerin Svenja Schulze. Denn klar ist, dass Berlin mit der malischen Regierung weiter zusammenarbeiten muss. Sonst könnte der Abzug der Bundeswehr in den nächsten Monaten zum Desaster werden.

Grundsätzliche Vorbehalte gegen die Deutschen scheint es in Mali nicht zu geben, das wird schnell klar. Verteidigungsminister Camara, berichten später mehrere Gesprächsteilnehmer, spricht zwar so leise, dass er kaum zu verstehen ist. Er sieht seinen Gesprächspartnern nicht in die Augen und blickt lieber auf den Tisch.

Seine Botschaft an diesem Freitagmorgen aber ist klar. Die Deutschen sind willkommen in Mali, und es wäre gut, wenn sie auch in Zukunft mit Bamako zusammenarbeiten würden. Dann allerdings bilateral und nicht mehr im Rahmen der Uno-Mission. »Multilateral ist scheißegal«, sagt ein malischer Offizier in tadellosem Deutsch schon vor dem Treffen und lacht.

Der Territorialminister outet sich als Labskaus-Liebhaber

Der Territorialminister wird sich später als Labskaus-Liebhaber outen, und an der Deutschenfreundlichkeit von Staatspräsident Goïta gibt es ohnehin kaum einen Zweifel. Als junger Offizier lernte er 2008 am Bundessprachenamt in Hürth Deutsch und absolvierte Lehrgänge an der Logistikschule der Bundeswehr in Osterholz-Scharmbeck und am George C. Marshall Zentrum in Garmisch-Partenkirchen.

Für die Putschregierung sind die Franzosen der Gegner und nicht die Deutschen. Den ehemaligen Kolonialherren scheinen die Oberste jede Bösartigkeit zuzutrauen. Nach schweren Auseinandersetzungen mit Bamako hat Paris seine Truppen zwar vollständig abgezogen, aber im Stab der Uno-Mission dienen immer noch französische Offiziere.

Damit steht MINUSMA für die Regierung in Bamako unter Generalverdacht. Die Deutschen haben nach den Gesprächen den Eindruck, dass es den Maliern ganz recht wäre, wenn die Mission schleichend auslaufen würde.

Warum aber dann die Zusammenarbeit ausgerechnet mit den Russen? Weil niemand sonst die Waffen geliefert habe, die man im Kampf gegen die Terroristen und die bewaffneten Banden im Land dringend brauche, das ist die Botschaft der Oberste. Auch und vor allem die Europäer nicht. Wer in Not sei, greife eben nach jedem Strohhalm.

Der neueste Trend ist das »Cownapping«

Es ist ein Argument, das sich schwer entkräften lässt. Die Sicherheitslage in Mali ist katastrophal. Islamistische Terrorkommandos bedrohen weite Teile des Landes, und bewaffnete Gangster-Banden terrorisieren die Bevölkerung. Der neueste Trend ist das »Cownapping«, also der organisierte Rinderdiebstahl. Mit der Folge, dass sich nun auch noch die Rinderzüchter bewaffnen.

Weil die Europäer der malische Armee keine Waffen liefern wollen, füllen jetzt die Russen diese Lücke, mit Waffen und Söldnern der berüchtigten Wagner-Truppe. Aber auch ihr Stern scheint schon zu sinken, denn die Sicherheitslage hat sich seitdem nicht gebessert, auch weil die Russen vor keinem Massaker zurückschrecken.

Für Pistorius und Svenja Schulze ist das eine schwierige Gemengelage. Einerseits will man auf Distanz zu den Putschisten gehen, auf der anderen Seite aber nach sechs Jahrzehnten guter Zusammenarbeit nicht einfach die Segel streichen. Und so beteuert die Entwicklungsministerin, dass man auch nach dem Abzug der Bundeswehr in Mali aktiv bleiben werde. Schließlich sei militärischer Schutz in Einsatzländern die große Ausnahme und nicht die Regel.

Pistorius kann nach dem Treffen mit seinem Amtskollegen immerhin einen kleinen Erfolg verkünden. »Die malische Seite hat mir dankenswerterweise jede Unterstützung zugesagt beim Rückzug unserer Streitkräfte«, sagt er. Der zuständige General aus dem Verteidigungsministerium werde schon bald wieder nach Mali reisen, um die Rückzugspläne der Deutschen offenzulegen.

Denen steht in den kommenden Monaten eine logistische Herausforderung besonderer Art bevor. Etwa 1.500 Containerladungen mit Material müssen von Gao nach Deutschland gebracht werden. Das Verteidigungsministerium hat angeordnet, dass aus Sicherheitsgründen 85 Prozent davon ausgeflogen werden sollen. Der Rest wird über Land in gesicherten Konvois nach Niamey im benachbarten Niger gebracht.

Pro Woche können etwa 35 Container ausgeflogen werden – wenn alles gut geht

Pro Woche können etwa 35 Container ausgeflogen werden – wenn alles gut geht. Bisher ging aber selten alles gut. Wegen der extremen Wetterbedingungen in Gao sind zur Regenzeit oft tagelang keine Flüge möglich. Aber noch schlimmer ist die Bürokratie.

Alle Flüge müssen bei MINUSMA beantragt werden, dort werden die Anträge geprüft, genehmigt und wieder an die Deutschen zurückgeschickt. Die übermitteln sie dem Außenministerium in Bamako, der malischen Luftwaffe und der Luftfahrtbehörde. Luftwaffe und Luftfahrtbehörde aber dürfen die Anfrage nur bearbeiten, wenn vorher das Außenministerium zugestimmt hat. Mit etwas Glück ist die Prozedur in 21 Tagen erledigt.

Dem Glück muss manchmal ein wenig nachgeholfen werden. Wenn der Abzug der Bundeswehr bis Mai nächsten Jahres tatsächlich gelingen soll, gibt es also gute Gründe, die Putsch-Oberste in Bamako bei Laune zu halten.

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