News zum Russland-Ukraine-Krieg: Das geschah in der Nacht zu Donnerstag (24. November)
Die jüngsten russischen Angriffe auf ukrainische Infrastruktur sorgen für Entsetzen. Kiew will handgetriebene Sirenen einsetzen. Und: Trotzreaktion aus Moskau. Die wichtigsten Entwicklungen.
Was in den vergangenen Stunden geschah
Die russische Armee hat bei ihrem Luftangriff auf die Ukraine am Mittwoch nach Kiewer Zählung etwa 70 Raketen sowie Kampfdrohnen eingesetzt. Präsident Wolodymyr Selenskyj und Oberbefehlshaber Walerij Saluschnyj sprachen von 67 Raketen, die auf die Ukraine abgefeuert worden seien. Allein auf die Hauptstadt Kiew seien 30 Raketen abgeschossen worden, von denen 20 abgefangen worden seien, schrieb Saluschnyj auf Telegram.
Zuvor hatte die Luftwaffe eine Gesamtzahl von 71 Raketen genannt. 51 russische Raketen sowie fünf Drohnen seien im Anflug abgeschossen worden, teilte das Luftwaffenkommando mit. Den Angaben nach setzte Russland Marschflugkörper der Typen Ch-101 und Ch555 ein, die von Flugzeugen aus gestartet wurden. Dazu kamen seegestützte Marschflugkörper des Typs Kalibr. Den bislang größten Angriff mit etwa hundert Raketen hatte es am 15. November gegeben.
Das sagt Kiew
Nach dem schweren russischen Raketenangriff auf die Energie-Infrastruktur der Ukraine machen Techniker nach offiziellen Angaben Fortschritte bei der Wiederherstellung der Stromversorgung. In 15 Verwaltungsgebieten gebe es teilweise wieder Strom, sagte der Vizechef des Präsidialamtes, Kyrylo Tymoschenko. In der Hauptstadt selbst werde die kritische Infrastruktur wie Krankenhäuser wieder versorgt, danach seien private Verbraucher dran. Bis zum Abend seien landesweit 2750 Notfallanlaufstellen in Betrieb gegangen, in denen es Heizung, Licht, Wasser, Internet und Telefon für die Bürgerinnen und Bürger gibt.
In Kiew waren nach Angaben von Bürgermeister Vitali Klitschko 80 Prozent der Haushalte ohne Strom und Wasser. Nach Angaben des Innenministeriums wurden zehn Menschen durch den Beschuss getötet.
In den Stadtteilen von Kiew mit völligem Stromausfall sollen handbetriebene Sirenen und Lautsprecher vor möglichen neuen russischen Luftangriffen warnen. Das teilte die Verwaltung der ukrainischen Hauptstadt am Mittwochabend mit. Polizei und Katastrophenschutz setzten solche Geräte ein. »Bitte beachten Sie diese Warnungen und suchen Sie im Fall von Luftalarm einen Schutzraum auf!«, hieß es.
Nach den russischen Angriffen auf kritische Infrastruktur hat Präsident Selenskyj vor dem Uno-Sicherheitsrat eine weitere Verurteilung Moskaus gefordert. Russland müsse deutlich als terroristischer Staat bezeichnet werden, sagte er per Video von dem Gremium in New York. Das Treffen des Rates war zuvor nach einer Forderung aus Kiew kurzfristig auf die Tagesordnung gesetzt worden.
Die Angriffe auf die kritische Infrastruktur seien »Verbrechen gegen die Menschlichkeit«, sagte Selenskyj. Er forderte mehr Unterstützung bei der Luftabwehr und bat darum, dass Expertenteams der Vereinten Nationen die Schäden untersuchten.
Zuvor hatte die Uno-Beauftragte für politische Angelegenheiten, Rosemary DiCarlo, die Angriffe auf die kritische Infrastruktur scharf verurteilt. Solche Angriffe seien nach internationalen Menschenrechtsgesetzen untersagt und bei Verstößen dagegen müssten die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden.
Das sagt Moskau
Russland zweifelt nach eigenen Angaben nicht am Erfolg seines Angriffskriegs, der vom Kreml als »Spezialoperation« bemäntelt wird. »Die Zukunft und der Erfolg der Spezialoperation stehen außer Zweifel«, sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow während eines Aufenthalts mit Präsident Wladimir Putin in Armeniens Hauptstadt Eriwan. Nähere Angaben machte Peskow nicht.
Der Kremlsprecher ging vor Reportern auch nicht auf die Entscheidung des EU-Parlaments ein, Russland als einen »terroristische Mittel« nutzenden Staat einzustufen. Die Sprecherin des russischen Außenministeriums, Maria Sacharowa, bezeichnete die Entscheidung des EU-Parlaments im Onlinedienst Telegram hingegen als »idiotisch«.
Internationale Reaktionen
Die US-Regierung hat russische Angriffe auf kritische Infrastruktur mit deutlichen Worten verurteilt. Diese Angriffe schienen keinen militärischen Zweck zu verfolgen und würden bewusst kurz vor Winterbeginn erfolgen, teilte der Nationale Sicherheitsrat im Weißen Haus mit. Sie würden das Leid der Menschen in der Ukraine erhöhen. »Es zeigt auch, dass Russland bereit ist, das Risiko eines nuklearen Zwischenfalls zu erhöhen, der nicht nur der Ukraine, sondern auch der gesamten Region schaden könnte.«
Das Onlineportal »Politico« schrieb unter Berufung auf namentlich nicht genannte Quellen, die US-Regierung gehe davon aus, dass Russland vor einer nuklearen Konfrontation mit der Nato zuerst chemische Waffen in der Ukraine einsetzen könnte – sollten die russischen Truppen weiter an Boden verlieren. Den USA lägen aber keine Erkenntnisse vor, die darauf hindeuteten, dass ein solcher Angriff in der Ukraine unmittelbar bevorstehe, hieß es weiter.
Nach dem »Politico«-Bericht gehen Pentagon-Mitarbeiter davon aus, dass die Kämpfe während der Wintermonate ins Stocken geraten würden und keine der beiden Seiten große Erfolge erzielen könne. Im Falle anhaltender Verluste oder »eines völligen Zusammenbruchs der russischen Armee« könnten aber chemische Waffen zum Einsatz kommen, so der Bericht unter Berufung auf einige hochrangige Pentagon-Vertreter.
Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hat die jüngsten russischen Angriffe als Kriegsverbrechen bezeichnet, die Konsequenzen haben müssten. »Heute fanden massive Bombenangriffe auf die Ukraine statt, wodurch große Teile des Landes ohne Wasser und Strom blieben«, sagte Macron am Mittwochabend. »Jeder Schlag gegen zivile Infrastruktur stellt ein Kriegsverbrechen dar und darf nicht ungestraft bleiben.«
»Angesichts des nahenden Winters werden wir am 13. Dezember in Paris die internationalen Unterstützer der Ukraine versammeln, um dem Land zu helfen, Widerstand zu leisten und seinen Zugang zu Energie zu gewährleisten«, erklärte Macron. »Wir vergessen auch nicht Moldau, das ebenfalls von Wasser- und Stromausfällen betroffen ist.« Trotz seiner Verurteilung Russlands hatte Macron am Mittwoch angekündigt, in den nächsten Tagen wieder Kontakt zu Kremlchef Wladimir Putin aufnehmen zu wollen.
Europastaatsministerin Anna Lührmann (Grüne) und die Vizepräsidentin des EU-Parlaments, Nicola Beer (FDP), sind zusammen mit weiteren europäischen Politikerinnen in die Ukraine gereist. »Wir sind auch hierhergekommen, um als weibliche Politikerinnen unsere Solidarität mit den Frauen der Ukraine zu zeigen«, sagte Lührmann am Mittwoch in Kiew. Sie und Beer waren zusammen mit sechs anderen Politikerinnen aus EU-Staaten und Liechtenstein in der ukrainischen Hauptstadt.
Der Delegation sei es wichtig, gerade Frauen ihre Unterstützung zu zeigen. »Gerade auch weil wir sehen, wie ukrainische Frauen mit ihrem Mut und ihrer Ausdauer diesen Kampf mit erfolgreich vorantreiben«, betonte Beer. Das treffe sowohl auf Frauen in der Armee als auch an anderen Orten wie den Krankenhäusern zu. »Ohne diese Frauen kann der Kampf für Freiheit, Demokratie und Rechtsstaat nicht erfolgreich sein«, unterstrich Beer.
Lührmann kündigte weitere 40 Millionen Euro als humanitäre Hilfe für den Winter an. Fünf Millionen Euro würden zudem für ukrainische Schulen aufgewendet. Und demnächst würden aus Deutschland Generatoren für die Ukraine eintreffen.