News zum Russland-Ukraine-Krieg: Das geschah in der Nacht zu Dienst (11. Oktober)
Der ukrainische Präsident beschwört den Kampfeswillen seines Landes – in einem Video vom Einschlagsort russischer Raketen. Die USA liefern moderne Luftabwehr. Und: Botschafter Melnyk warnt vor Atomschlag. Das geschah in der Nacht.
Das sagt Kiew
Nach den schweren russischen Raketenangriffen auf viele Großstädte der Ukraine hat Präsident Wolodymyr Selenskyj den Widerstandswillen seines Landes betont. »Die Ukraine lässt sich nicht einschüchtern, sie lässt sich nur noch mehr vereinen«, sagte er in seiner abendlichen Videoansprache am Montag in Kiew. Bei den Angriffen wurden nach Angaben des ukrainischen Innenministeriums vom Abend landesweit 14 Menschen getötet und 97 weitere Personen verletzt.
Das Video wurde nicht, wie sonst üblich, in Selenskyjs gut gesichertem Präsidialamt aufgezeichnet. Der Staatschef stand nach eigenen Angaben abends an einer beschädigten Straßenkreuzung nahe der Universität. Im Hintergrund waren Bagger, Lastwagen und anderes Räumgerät zu sehen. Dort waren am Morgen Raketen eingeschlagen. Der Präsident verwies darauf, dass es in und um einen Park vor der Uni nur zivile Ziele gebe – die Hochschule, einen Kinderspielplatz, zwei Museen – und keine militärischen Einrichtungen, die Russland nach eigenen Angaben getroffen hat.
Bei der groß angelegten russischen Angriffsserie auf ukrainische Städte war am Montag erstmals seit Juni auch wieder die Hauptstadt bombardiert worden. Moskau führte als Grund die Explosion einer Lkw-Bombe auf der strategisch wichtigen Krim-Brücke vom Wochenende an, die nach Ansicht der russischen Regierung vom ukrainischen Geheimdienst platziert worden war.
Der scheidende Botschafter der Ukraine in Deutschland, Andrij Melnyk, sieht eine reale Gefahr, dass Russland auch Atomwaffen gegen sein Land einsetzen könnte. Die russischen Raketenangriffe auf Städte in der Ukraine hätten gezeigt, dass der russische Präsident Wladimir Putin offenbar zu allem fähig sei, sagte Melnyk zu RTL/ntv. Der Westen solle Russland ganz klar und ohne diplomatische Floskeln darstellen, was Russland erwarten würde, sollte Putin Atomwaffen in der Ukraine einsetzen. »Und ich glaube, dass unsere Partner und Verbündete durchaus in der Lage sein sollten, das in einer Sprache zu tun, die Putin verstehen wird«, so Melnyk.
Der Kommunikationsdirektor des Nationalen Sicherheitsrates im Weißen Haus, John Kirby, hatte zuletzt erklärt, die US-Regierung habe keine Hinweise darauf, dass Putin eine Entscheidung zum Einsatz von Atomwaffen getroffen habe.
Bei einer Dringlichkeitssitzung der Uno–Vollversammlung zur Annexion von vier ukrainischen Regionen durch Russland hat die Ukraine Russland als »Terrorstaat« gebrandmarkt. Der ukrainische Botschafter bei den Vereinten Nationen, Serhij Kyslyzja, sagte am Montag in New York, die ganze Welt habe »wieder einmal das wahre Gesicht eines Terrorstaates gesehen, der unser Volk tötet«.
Im Rahmen der Sitzung wurde über einen Entwurf für eine Resolution debattiert, mit der die Annexion der ukrainischen Regionen Luhansk, Donezk, Cherson und Saporischschja und die dort vorausgegangenen »Referenden« für einen Anschluss an Russland verurteilt werden sollen. Eine Abstimmung über die Resolution könnte am Mittwoch erfolgen.
Das sagt Moskau
Russland war zuvor mit dem Versuch gescheitert, die Abstimmung in der Uno–Vollversammlung über seine Scheinreferenden geheim abhalten zu lassen. Das Gremium votierte mit 107 Stimmen dafür, die für Mittwoch erwartete Abstimmung öffentlich zu vollziehen. Dagegen stimmten 13 Staaten, 39 enthielten sich der Stimme und die übrigen Länder votierten nicht. Russland hatte argumentiert, wegen westlichen Drucks sei eine geheime Abstimmung notwendig, da es sonst »sehr schwierig werden könnte, wenn die Positionen öffentlich dargelegt werden«.
Humanitäre Lage
Nach einem russischen Raketenangriff auf die ostukrainische Stadt Krywyj Rih sind nach Angaben des örtlichen Militärchefs Oleksandr Wilkul noch 98 Bergleute wegen eines Stromausfalls unter Tage eingeschlossen. Die Bergarbeiter sollten noch in der Nacht zum Dienstag befreit werden, wie Wilkul nach Angaben der ukrainischen Nachrichtenagentur Ukrinform mitteilte. Laut Wilkul waren demnach zunächst mehr als 850 Kumpel in vier Minen eingeschlossen gewesen. Die Angaben ließen sich nicht unabhängig prüfen.
Die Migrationsbeauftragte der Bundesregierung, Reem Alabali-Radovan (SPD), hat Vorbereitungen auf mögliche neue Fluchtbewegungen aus der Ukraine gefordert. Zurzeit seien die Zahlen der neu ankommenden Geflüchteten aus der Ukraine mit rund 150 pro Tag zwar weiter rückläufig, »aber ein harter Kriegswinter kann das ändern«, sagte Alabali-Radovan dem Redaktionsnetzwerk Deutschland.
Eine veränderte Fluchtbewegung träfe zunächst den direkten Nachbarn Polen und auch Tschechien, sagte sie. »Wir müssen daher in engem Austausch mit unseren Nachbarländern bleiben und bereit sein zur weiteren Aufnahme von Menschen, die vor Krieg und großer Not aus der Ukraine fliehen.«
Internationale Reaktionen
US-Präsident Joe Biden hat dem ukrainischen Präsidenten weitere Militärhilfe »einschließlich fortschrittlicher Luftabwehrsysteme« versprochen. Biden habe Selenskyj bei einem Telefonat zugesichert, »die Ukraine weiterhin mit allem zu versorgen, was sie für ihre Verteidigung benötigt«, erklärte das Weiße Haus in Washington am Montag. Der US-Präsident habe außerdem sein Beileid nach den massiven russischen Luftangriffen auf Kiew und andere ukrainische Städte ausgesprochen. »Bei diesen Angriffen wurden Zivilisten getötet und verletzt sowie Ziele zerstört, die keinem militärischen Zweck dienten«, hieß es in eine Erklärung des US-Präsidialamts. Sie zeigten die »äußerste Brutalität von Herrn Putins illegalem Krieg gegen das ukrainische Volk«.
Die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) sieht die jüngsten russischen Angriffe in der Ukraine als »Terror« gegen die Zivilbevölkerung. »Diese abscheulichen militärischen Aktionen bedeuten die völlige Missachtung des Völkerrechts und des Kriegsvölkerrechts«, hieß es am Montagabend in einer gemeinsamen Stellungnahme von OSZE-Führungspersönlichkeiten. »Das einzige Motiv für diese brutalen und grausamen Taten ist das Verbreiten von Terror, um taktisches und strategisches Versagen zu kompensieren«, erklärte die OSZE-Spitze.
Uno–Generalsekretär António Guterres hat sich »zutiefst schockiert« von den russischen Raketenangriffen gezeigt. »Dies stellt eine weitere inakzeptable Eskalation des Krieges dar, und wie immer zahlen die Zivilisten den höchsten Preis«, sagte er laut einem Sprecher.
Nach Ansicht des CDU–Außenpolitikers Roderich Kiesewetter müssen die Menschen in Deutschland darüber aufgeklärt werden, dass der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine noch längere Zeit dauern könnte. »Auch unsere Bevölkerung muss darauf eingestellt werden, dass dieser Krieg womöglich noch zwei Jahre gehen kann und dass er sich ausweitet«, sagte Kiesewetter dem TV-Sender Welt. Die kritische Infrastruktur sei unter Druck. »Es wird nicht nur auf ukrainischem Boden stattfinden, das ist auch ein Krieg gegen uns«, sagte Kiesewetter. Putin gehe es darum, Angst und Schrecken zu verbreiten. »Und viele Bilder sehen wir ja gar nicht, weil sie so furchtbar sind. Und das ist etwas, was unserer Bevölkerung auch immer klar sein muss: Der Krieg ist schlimmer, als manche Bilder anmuten lassen«, so Kiesewetter.
Was heute passiert
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Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) lädt kommunale Spitzenverbände zu einem Flüchtlingsgipfel. Bei dem Treffen mit Vertretern der Städte, Gemeinden und Landkreise soll es unter anderem um eine bessere Verteilung von Geflüchteten innerhalb Deutschlands gehen. Vor dem Winter dürfte dabei auch die zu erwartende Zahl von Flüchtlingen aus dem Kriegsgebiet in der Ukraine zum Thema werden.
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Der russische Präsident Putin empfängt den Chef der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA), Rafael Grossi. Die beiden werden sich nach Angaben des Kreml in St. Petersburg treffen. Das Gespräch erfolgt vor dem Hintergrund der wiederholten Angriffe rund um und auf das ukrainische Atomkraftwerk Saporischschja in den vergangenen Monaten. Das größte Atomkraftwerk Europas im Süden der Ukraine ist seit März von russischen Truppen besetzt.