News zum Russland-Ukraine-Krieg: Das geschah in der Nacht zu Donnerstag (8. September)
Die Ukraine macht nach eigenen Angaben im Süden des Landes Boden gut. Im AKW Saporischschja werden Hunderte Mitarbeiter vermisst. Und: Russland bestreitet Einrichtung von Deportationslagern. Das geschah in der Nacht.
Was in den vergangenen Stunden geschah
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj spricht von »guten Neuigkeiten« von der Front in der Region Charkiw. Einige Orte seien zurückerobert worden. In seiner regelmäßigen abendlichen Ansprache dankt er Artilleristen für erfolgreiche Angriffe auf russische Stellungen im Süden des Landes. Ein Vertreter des US-Verteidigungsministeriums erklärt, die Ukraine mache kleine, aber substanzielle Fortschritte auf den Schlachtfeldern. Im Süden laufe es für die ukrainische Seite besser als für die russische Seite
Das sagt Kiew
Der Etat im kommenden Jahr wird nach Worten von Selenskyj ein Kriegshaushalt. Bei dem Budget würden mehr als eine Billion Griwna für Verteidigung und Sicherheit aufgewendet, sagt Selenskyj in seiner Videobotschaft. Soziale Verpflichtungen wie Pensionen müssten vollständig abgedeckt werden. Unkritische Ausgaben sollten auf ein Minimum reduziert werden.
Der Präsident der ukrainischen Betreibergesellschaft des Atomkraftwerks Saporischschja hat den russischen Besatzern die Verschleppung, Folter und Tötung von ukrainischen Mitarbeitern vorgeworfen. »Etwa 200 Leute sind bereits inhaftiert worden, von einigen wissen wir nicht, was mit ihnen passiert ist, es gibt keinen Hinweis, wo sie sind«, sagte Petro Kotin, Präsident von Energoatom, den Zeitungen der Funke Mediengruppe.
Einige Mitarbeiter seien getötet worden, erklärte er und fügte hinzu: »Wir wissen, dass Menschen gefoltert worden sind«.
Die russischen Besatzer versuchen dem Energoatom-Chef zufolge, herauszufinden, welche Mitarbeiter proukrainisch sind. »Es ist sehr schwierig für unser Personal, da zu arbeiten«, sagte Kotin. Doch die Mitarbeiter wüssten, dass es wichtig für die nukleare Sicherheit und für den Brandschutz sei, vor Ort zu bleiben. »Sie erfüllen ihre Pflicht.«
Nach Angaben von Kotin gibt es auf dem Gelände noch etwa tausend ukrainische Mitarbeiter. In Friedenszeiten arbeiteten in dem größten Atomkraftwerk Europas 11.000 Menschen. Viele hätten die Region verlassen.
Das AKW Saporischschja im Süden der Ukraine ist seit März von russischen Truppen besetzt. Seit Wochen steht es unter Beschuss, Russland und die Ukraine machen sich gegenseitig für die Angriffe verantwortlich. Die Internationale Atomenergiebehörde (IAEA) hatte am Dienstag vor einem »nuklearen Unfall« gewarnt und die Einrichtung einer Sicherheitszone rund um das Akw gefordert.
Wegen des russischen Angriffskrieges hat die Ukraine Sanktionen gegen 606 Mitglieder der politischen Führung in Moskau verhängt. Von dieser Entscheidung des Sicherheitsrates der Ukraine berichtete Präsident Selenskyj am Mittwoch in Kiew. »Sie tragen Verantwortung für den Krieg Russlands gegen die Ukraine, für den Terror gegen unser Volk, und keiner von ihnen wird der Strafe entgehen.«
Von 32 Mitgliedern des russischen Sicherheitsrates unter Vorsitz von Präsident Wladimir Putin wurden demnach 28 Mitglieder auf die ukrainische Strafliste gesetzt. Von 450 Abgeordneten der russischen Staatsduma sind es 424, von 170 Senatoren im Föderationsrat 154.
Humanitäre Lage
Die Ukraine hat Vorwürfe von Präsident Putin zurückgewiesen, seit Aufhebung der Blockade seiner Häfen »fast das gesamte Getreide« in die EU und nicht in Entwicklungsländer geliefert zu haben. Insgesamt seien »zwei Drittel der verschickten Schiffe« im Rahmen des Abkommens zur Linderung der weltweiten Lebensmittelkrise »für Asien, Afrika und den Nahen Osten bestimmt«, erklärte der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba am Mittwoch in Kiew.
Putin hatte seine Behauptungen am Mittwoch bei einem Wirtschaftsforum in Wladiwostok aufgestellt und in diesem Zusammenhang auch die Möglichkeit von Exportbeschränkungen für Getreide in den Raum gestellt.
Fast zwei Monate nach dem Tod eines Briten in Gefangenschaft der prorussischen Separatisten in der Ukraine ist sein Leichnam an ukrainische Behörden übergeben worden. Das teilte der ukrainische Ombudsmann für Menschenrechte, Dmytro Lubinez, auf Facebook mit. Der Körper des Mannes weise Folterspuren und Schnittwunden auf, schrieb er. »Als Menschenrechtskommissar des Parlaments der Ukraine kann ich bereits heute in voller Verantwortung sagen, dass dieser Tod gewaltsam war.« Unabhängig überprüfbar waren die Vorwürfe von Lubinez aber nicht.
Internationale Reaktionen
Im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen hat es einen heftigen Schlagabtausch über den Vorwurf russischer Deportationslager im ukrainischen Kriegsgebiet gegeben. Die US-Regierung beschuldigte das russische Militär, im Kriegsgebiet festgenommene Menschen in solche Lager zu zwingen, um sie dann gegen ihren Willen nach Russland oder in russisch besetzte Gebiete der Ukraine zu bringen. Schätzungen zufolge seien so zwischen 900.000 und 1,6 Millionen Menschen aus ihren Heimatorten deportiert worden, sagte US-Botschafterin Linda Thomas-Greenfield am Mittwoch bei einer Sitzung des Uno-Sicherheitsrats in New York.
Eine unabhängige Bestätigung solcher Zahlen im Kriegsgebiet ist kaum möglich. Die ukrainische Uno-Delegation macht sogar geltend, dass bis zu 2,5 Millionen Menschen aus dem Süden und Osten des Landes deportiert worden seien, oft in weit entfernte Regionen Sibiriens oder im entlegenen Osten Russlands.
Norwegens Uno-Botschafterin Mona Juul sprach von einer »wachsenden Zahl an unabhängigen Informationen«, die auf Menschenrechtsverstöße in diesen Lagern hinwiesen. Das Uno-Menschenrechtsbüro in New York verwies auf glaubwürdige Berichte, wonach ukrainische Kinder von ihren Eltern getrennt und nach Russland deportiert würden, damit sie dort schnell eingebürgert und zur Adoption freigegeben werden könnten. Die Vereinten Nationen und das Rote Kreuz fordern Zugang zu russischen Lagern für Kriegsgefangene und Zivilisten. Das erklärt die Uno-Beauftragte für politische Angelegenheiten, Rosemary DiCarlo.
Russland wies die Beschuldigungen zu den »Filtercamps« zurück. »Wir verstehen nicht wirklich, worüber hier gesprochen wird«, sagte der russische Uno-Botschafter Wassili Nebensja. Der Begriff »Filtration« sei nicht klar definiert und Einrichtungen, in denen Ukrainer ihren Willen zum Auswandern nach Russland ausdrücken könnten, seien normal. Danach könnten sie frei in Russland leben und das Land jederzeit wieder verlassen.
Die stellvertretende Vorsitzende der Grünen-Bundestagsfraktion, Agnieszka Brugger, hat gefordert, der Ukraine weiterhin Hilfe zu leisten – auch über ein mögliches Ende der Kampfhandlungen hinaus. »Wir müssen uns mit den Partnerinnen und Partnern darauf einstellen, die Ukraine sehr lange im Bereich Militär und Sicherheit zu unterstützen«, sagte Brugger dem Redaktionsnetzwerk Deutschland.
»Das gilt sogar, wenn es, wovon wir ja gerade weit entfernt sind, zu einem Ende der Kampfhandlungen kommen sollte«, betonte Brugger. Denn dann werde die Gefahr natürlich nicht geringer werden. »Deshalb braucht es jetzt gute Pläne und gute Abstimmung und auch mehr deutsche Beiträge«, sagte Brugger weiter.
Was heute passiert
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Verteidigungsminister und ranghohe Militärs aus mehr als 50 Ländern beraten ab 10 Uhr auf dem US-Luftwaffenstützpunkt Ramstein in Rheinland-Pfalz über die weitere Unterstützung der Ukraine im Krieg gegen Russland. Zu der Konferenz hat US-Verteidigungsminister Lloyd Austin die Mitglieder der sogenannten Ukraine-Kontaktgruppe eingeladen. Zu ihr gehören neben den USA etwa auch Deutschland und Großbritannien. Erwartet werden unter anderem Bundesverteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) und Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg. Wie beim ersten Treffen dieser Art in Ramstein Ende April, wurden dem Vernehmen nach auch Nicht-Nato-Staaten eingeladen.