Coronavirus: Wird in den USA einfach nur mehr getestet?

Ausbreitung von Corona in den USA: Roter Flickenteppich
Der Spiegel
In den USA erreicht die Zahl der nachgewiesenen Corona-Neuinfektionen immer neue Höchstwerte. Zuletzt meldeten Behörden 65.000 positive Virustests in 24 Stunden. Der US-Immunologe und Trump-Berater Anthony Fauci sprach von einem "Albtraum".
Bereits Anfang Juli hatte er gewarnt, die damals vor allem im Süden und Westen des Landes voranschreitende Ausbreitung des Virus gefährde die ganzen USA. Inzwischen deuten zentrale Messgrößen darauf hin, dass sich die Situation in insgesamt 30 US-Bundesstaaten bedenklich entwickelt.
Präsident Donald Trump will davon bislang nichts wissen. Statt auf verstärkte Schutzmaßnahmen zu pochen, drohte er, Schulen Gelder zu streichen, wenn sie im Herbst nicht wieder vollständig öffnen. Der Präsident und einige seiner Anhänger führen die rapide steigenden Infektionsraten bei öffentlichen Auftritten auf eine wachsende Testzahl zurück.
Nach dem Motto: Würden die USA weniger testen, gäbe es kein Problem mit Corona. Das Argument mag zunächst schlüssig klingen, ist aber aus vielen Gründen unsinnig. Genauso gut könnte man verlangen, HIV-Tests abzuschaffen. Dann gäbe es zwar offiziell keine neuen Infektionen, mit der Realität hätte das aber nichts zu tun.
Zahl der Neuinfektionen steigt stärker als Zahl der Tests
Im Kern trifft Trump aber einen Punkt: Wenn Tests knapp sind, kann ein Mehr an Diagnostik tatsächlich dazu führen, dass auch mehr Fälle identifiziert werden, obwohl sich am Infektionsgeschehen möglicherweise nichts geändert hat. Fachleute wissen das und beobachten deshalb nicht nur die Anzahl der nachgewiesenen Neuinfektionen, sondern auch die Zahl der durchgeführten Tests und das Verhältnis aus beiden.
Steigen oder sinken sie in ähnlichem Ausmaß, so gilt die sogenannte Positivrate als Indikator für das Infektionsgeschehen. Wächst dabei die Zahl der Neuinfektionen pro durchgeführtem Test, ist von einer weiteren Verbreitung der Pandemie auszugehen. Um ein realistisches Bild vom Infektionsgeschehen zu bekommen, müsste, entgegen Trumps Aussage, in so einer Situation besser mehr anstatt weniger getestet werden.
Ein kurzer Vergleich der Statistiken reicht allerdings aus, um zu erkennen, dass sich Test- und Infektionsrate in den USA größtenteils sehr unterschiedlich entwickelt haben (über die Reiter oben können Sie zwischen beiden Kurven hin- und herschalten):
Die USA haben ihre Testkapazitäten in den vergangenen Monaten sukzessive ausgebaut: In der Zeit um den 20. März herum wurden täglich gerade mal etwa 20.000 Menschen auf das neue Virus getestet, inzwischen sind es um die 600.000. Gleichzeitig schwankte die Zahl der Neuinfektionen deutlich. Zwischen Ende April und Anfang Juni ging sie sogar zurück, während die Testzahlen weiter gestiegen sind.
Mitte Juni kippte das Verhältnis
In der Folge ist die Positivrate, also der Anteil positiver Ergebnisse unter allen Tests, zwischenzeitlich unter fünf Prozent gefallen. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) nennt diesen Wert als Schwelle, um das Ausbruchsgeschehen durch Tests verfolgen zu können.
"Die Positivrate ist ein wichtiger Indikator, da sie Aufschluss darüber geben kann, ob eine Region genügend testet, um Fälle zu finden", schreibt sie. "Wenn die Positivrate in einer Region hoch ist, ist das ein Hinweis, dass hauptsächlich die am stärksten betroffenen Personen getestet und mildere oder asymptomatische Fälle übersehen werden." Derzeit wächst dieses Risiko in den USA wieder.
Seit Mitte Juni steigt die Zahl der Neuinfektionen deutlich stärker als die Zahl der Tests. Die Maßnahmen waren zuvor in vielen Bundesstaaten schrittweise gelockert worden, überwiegend zwischen Ende April und dem Memorial Day am 25. Mai.
Insbesondere in den aktuell am schlimmsten betroffenen Staaten im Süden und Westen der USA hat die Zahl der bestätigten Neuinfektionen zuletzt deutlich stärker zugenommen als die Zahl der Tests. In Florida und Arizona beispielsweise gelingt es offenbar immer weniger, auch leichte Verdachtsfälle auf eine Infektion zu prüfen:
Der Tod kommt mit Verzögerung
Einen weiteren, von Unsicherheiten bei den Tests unbeeinflussten Blick auf das Pandemiegeschehen bietet die Zahl der Covid-19-Patienten in Krankenhausbehandlung. Auch sie war lange Zeit rückläufig, steigt jetzt aber wieder an. In manchen Bundesstaaten liegt sie bereits nahe der Kapazitätsgrenze.
Nur in den Todesraten zeigt sich der starke Anstieg der Neuinfektionen bislang nicht. Experten nennen als Grund, dass sich zuletzt viele junge Menschen infiziert haben. Erst allmählich dringt der Ausbruch in ältere Bevölkerungsschichten vor, in denen es mehr Menschen mit Vorerkrankungen wie Bluthochdruck oder Lungenerkrankungen gibt.
Zudem vergeht meist einige Zeit, bis die Patienten nach der Diagnose schwer erkranken. In der Regel versuchen Ärzte dann zunächst, sie zu beatmen, oft über mehrere Wochen. Die derzeit hohe Zahl an Neuinfektionen dürfte sich folglich mit einiger Verzögerung in den Todesraten widerspiegeln.
Icon: Der Spiegel