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VfB Stuttgart vor Topspiel gegen den Hamburger SV: Überzeugt ins Risiko

May 28
16:57 2020
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Stuttgarts Trainer Pellegrino Matarazzo

Stuart Franklin/ dpa

Pellegrino Matarazzo wollte nicht viel Gewese um die Nachricht machen. Ein "Vertrauensbeweis" sei seine vorzeitige Vertragsverlängerung um ein Jahr bis 2022, sagte der Trainer des Zweitligisten VfB Stuttgart. Und ein "Zeichen, dass der Weg, den wir eingeschlagen haben, richtig ist." Matarazzo, den sie in Stuttgart "Rino" nennen, ist ein italienisch-stämmiger Amerikaner aus dem Nachwuchs der TSG Hoffenheim, der im Januar die Nachfolge des entlassenen Tim Walter beim VfB angetreten hat. Stuttgart ist seine erste Station als Cheftrainer.

Auf dem Weg, auf dem sich die Schwaben mit dem 42-Jährigen befinden, gab es zuletzt drei Niederlagen und ein Remis aus vier Spielen. Nach der Corona-Zwangspause startete der VfB mit einem 1:2 gegen Wiesbaden und einem 2:3 gegen Kiel, was angesichts der eigenen Aufstiegsambitionen ein herber Rückschlag war. Und dennoch bekam Matarazzo nun jene Ausweitung seines Vertrags.

Der Zeitpunkt dafür wirkt durchaus symbolisch: Am Abend trifft Stuttgart im wichtigen Spiel um den zweiten Aufstiegsplatz hinter Arminia Bielefeld auf den Hamburger SV (20.30 Uhr/TV: Sky). Es ist das Duell Dritter gegen Zweiter. Der VfB liegt mit 45 Zählern einen Punkt hinter dem HSV, hat aber mit Heidenheim auf Rang vier (ebenfalls 45 Punkte) Druck von hinten.

17 Trainer seit 2010

Dass sich der VfB in einer Phase der sportlichen Krise zu Matarazzo bekennt, deutet auf einen Kulturwandel hin. Man entscheide "unabhängig von kurzfristigen Resultaten", sagte Sportdirektor Sven Mislintat. Zwar ist es allgemein bekannt in der Branche, dass die wichtigste Personalentscheidung im Verein eben genau so getroffen werden muss, um Erfolg zu haben. Doch beim VfB wurde trotzdem selten so gehandelt. Kaum ein Verein agierte in den vergangenen Jahren so berechenbar aktionistisch wie die Schwaben, die seit 2010 nicht weniger als 17 Trainer verschlissen haben.

Vorstand Thomas Hitzlsperger und Sportdirektor Mislintat haben seit dem Abstieg vor einem Jahr in den Relegationsduellen gegen Union Berlin einiges verändert: Der Kader wurde verjüngt, der Nachwuchsbereich wurde reformiert, die zweite Mannschaft spielt künftig in der 3. Liga. Und für das erste Team gibt es eine fußballerische Leitlinie, an die sich der Trainer zu halten hat. Sie basiert auf Dominanz und Offensivfußball. Und man wollte auf Kontinuität auf den wichtigen Positionen setzen.

Doch das klappte zunächst nicht. Mit Tim Walter als Trainer war der VfB in die Saison gegangen, hatte sich aber kurz vor Weihnachten nach nur drei Siegen aus den letzten zehn Zweitliga-Spielen von ihm getrennt. Walter vertrat fundamentalistisch einen Ballbesitzstil. Und er überforderte den Kader bisweilen. Er ließ Innenverteidiger bis weit in des Gegners Hälfte aufrücken, Außenverteidiger reinrücken und setzte auf viele, viele Passreihen. Die Überzeugung, dass mit Walter der Wiederaufstieg gelingen würde, schwand irgendwann.

Matarazzo soll nun die Sache pragmatischer angehen, ohne vom dominanten Stil abzurücken. Er gab dem zuvor defensiv zu anfälligen Team mehr Stabilität – und hatte zunächst Erfolg: In seinen ersten fünf Spielen schaffte Matarazzo vier Siege und ein Remis.

Doch seither holte sein Team aus vier Spielen nur einen Punkt – beim 1:1 gegen den Tabellenführer Bielefeld. Die ersten Diskussionen über Matarazzo kamen auf. Stuttgart ist ein besonders anspruchsvoller Fußballstandort. Hier schlagen Emotionen sehr schnell ins Negative. An Hitzlspergers Überzeugung vom eingeschlagenen Weg änderten die schlechten Ergebnisse aber nichts. Matarazzo erzählte, dass die ersten Gespräche über die Verlängerung schon vor den beiden Spielen nach der Corona-Pause stattgefunden hatten. Die beiden Niederlagen ließen Hitzlsperger dann nicht von der Verlängerung abrücken.

Guckt man sich die beiden Partien genauer an, könnte man für den VfB auch mildernde Umstände geltend machen: Denn natürlich verlor man in Wiesbaden aufgrund einer grotesken Elfmeterentscheidung. Und natürlich unterlag man Kiel, weil Roberto Massimo sich gleich zwei Mal einen individuellen Fehler leistete. Trotzdem haben die jüngsten vier schlechten Ergebnisse Gründe.

Der VfB verfügt über den teuersten Kader der Liga, aber die erfahrenen Spieler wie Mario Gomez, Holger Badstuber oder Gonzalo Castro unterliegen zum Teil drastischen Formschwankungen oder leisten sich Fehler wie Daniel Didavi, der in Kiel mit Gelb-Rot vom Platz gestellt wurde.

Der VfB Stuttgart ist ein Verein auf der Schwelle – und er befindet sich in einer kritischen Phase der Saison. Verliert er nun gegen den HSV, könnte der Wiederaufstieg in Gefahr geraten. Die Vertragsverlängerung mit dem auf Profiebene unerfahrenen Matarazzo in dieser Situation ist mutig. Hitzlsperger und Mislintat gehen überzeugt ins Risiko. Hat Matarazzo Erfolg, wird man die Entscheidung als weitsichtig einstufen. Wenn nicht, könnte irgendwann auch über die beiden VfB-Funktionäre diskutiert werden.

Icon: Der Spiegel

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