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Ursula von der Leyen verschärft EU-Klimaschutzziel – mindestens 55 Prozent bis 2030

September 16
11:31 2020
Ursula von der Leyen: Der "Green Deal" gilt als Kernziel ihrer Amtszeit als EU-Kommissionspräsidentin Icon: vergrößern

Ursula von der Leyen: Der "Green Deal" gilt als Kernziel ihrer Amtszeit als EU-Kommissionspräsidentin

Foto: Yves Herman / REUTERS

Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat in ihrer ersten Rede zur Lage der Europäischen Union eine Verschärfung des EU-Klimaziels vorgeschlagen. Demnach sollen mindestens 55 Prozent Emissionen bis zum Jahr 2030 eingespart werden. Als Vergleichswert gelten die Emissionswerte aus dem Jahr 1990. Bisher lautet das offizielle Ziel minus 40 Prozent.

Schon im sogenannten "Europäischen Green Deal" war Ende 2019 ein "umfassender Plan zur Anhebung des Klimaziels der EU für 2030 auf mindestens 50 Prozent mit Tendenz zu 55 Prozent in verantwortungsvoller Weise" angekündigt worden. In ihrer Rede macht sich von der Leyen nun für das ehrgeizigere Ziel stark. Experten hatten mit der Erhöhung gerechnet, da die neue Zielmarke der EU-Kommission bereits durchgesickert war. Allerdings müssen das Europaparlament und die Mitgliedstaaten dem neuen Klimaziel zustimmen.

Die Rede zu Lage der Union findet seit dem Jahr 2010 jährlich statt. Darin stellt der jeweilige Kommissionschef die künftigen Vorhaben vor und zieht Bilanz der bisherigen Arbeit.

Sie wisse, dass einigen diese Erhöhung des Einsparziels zu viel sei und anderen nicht genug, sagte von der Leyen. Doch habe die Folgenabschätzung der EU-Kommission eindeutig ergeben, dass die Wirtschaft und Industrie die Verschärfung bewältigen könnten. Aus ihrer Sicht sei die Zielvorgabe ehrgeizig, machbar und gut für Europa, sagte von der Leyen. So sollten bis zum Sommer 2021 Vorschläge zur Förderung erneuerbarer Energien, zur Überarbeitung des Emissionshandels und zu mehr Energieeffizienz unterbreitet werden.

Das neue Ziel würde drastische zusätzliche Anstrengungen im Klimaschutz bedeuten. Geschafft wurden in den 29 Jahren von 1990 bis 2019 nach Angaben der EU-Kommission rund 25 Prozent Minderung. Für das neue Ziel bleiben weniger als zehn Jahre. Zudem soll Europa bis 2050 laut von der Leyen der erste klimaneutrale Kontinent der Welt werden.

"Überarbeitung ist überfällig"

Doch Kritikern gehen die Pläne nicht weit genug. "Die Überarbeitung des Klimaziels der EU für das Jahr 2030 ist überfällig", sagt Niklas Höhne vom New Climate Institute in Köln. 55 Prozent weniger Emissionen seien zwar ein Schritt in die richtige Richtung. "Aber auch 65 Prozent Verminderung sind technisch umsetzbar, was der global nötigen Reduktionsrate für das Erreichen des 1,5-Grad-Ziels entspräche", so Höhne. Auch die Grünen hatten eine Senkung um 65 Prozent gefordert.

Im Pariser Klimaabkommen von 2015 hatten sich die Länder darauf geeinigt, die globale Durchschnittstemperatur in diesem Jahrhundert auf unter zwei Grad über dem vorindustriellen Niveau zu begrenzen und sich um ein Limit von 1,5 Grad zu bemühen.

Laut einem Sonderbericht des Weltklimarates IPCC hätte ein Temperaturanstieg um 1,5 Grad deutlich weniger schwerwiegende Folgen. So wären bei einem Anstieg um zwei Grad wahrscheinlich zehn Millionen mehr vom Meeresspiegelanstieg betroffen, die Wahrscheinlichkeit für Extremwetterereignisse würde steigen und es wären deutlich mehr Anpassungen an den Klimawandel nötig.

Experten zweifeln, ob dieses Ziel noch einzuhalten ist. Laut der Weltwetterorganisation (WMO) könnte die globale Durchschnittstemperatur bereits in einem der kommenden Jahre auf 1,5 Grad über dem vorindustriellen Niveau steigen.

Von der Leyen will Corona-Investitionen für Klimaschutz nutzen

Für die enormen nötigen Investitionen will von der Leyen das Corona-Wiederaufbauprogramm in Höhe von 750 Milliarden Euro nutzen. 30 Prozent dieser Summe, die die EU über gemeinsame Schulden finanzieren will, sollen aus "grünen Anleihen" beschafft werden, kündigte die Kommissionschefin an.

Europäisches Geld solle vor allem in Leuchtturm-Projekte mit größtmöglicher Wirkung investiert werden, darunter Wasserstoff, Renovierung von Häusern und in eine Million Ladestationen für Elektrofahrzeuge. Von der Leyen sprach von "European Hydrogen Valleys" zur Modernisierung der Industrie und zur Entwicklung neuer Kraftstoffe für Fahrzeuge.

Gebäude, aus denen heute 40 Prozent der Klimagas-Emissionen stammen, sollten künftig nicht mehr so viel Energie verschwenden. Künftig könnten sie mit kluger Technologie und Nutzung ökologischer Baustoffe wie Holz sogar CO2 aufnehmen. Nötig sei eine Renovierungswelle. "Deshalb werden wir ein neues europäisches Bauhaus errichten, einen Raum, in dem Architekten, Künstler, Studenten, Ingenieure und Designer gemeinsam und kreativ an diesem Ziel arbeiten", betonte von der Leyen.

Nach Berechnungen der EU-Kommission müssten für das neue Klimaziel allein die Investitionen in Energieproduktion und -nutzung im Vergleich zu den vergangenen zehn Jahren um jährlich 350 Milliarden Euro gesteigert werden. Der Verbrauch von Kohle soll im Vergleich zu 2015 um 70 Prozent sinken, der Anteil von erneuerbaren Energien am gesamten Energieverbrauch auf bis zu 40 Prozent steigen. Ältere Gebäude müssten im doppelten Tempo wie bisher saniert und "klimafit" gemacht werden.

Zudem müssten einige Vorgaben für Energiewirtschaft und Industrie weiter verschärft werden, darunter die CO2-Grenzwerte für Autos. Das Emissionshandelssystem ETS, das bisher nur Kraftwerke und Fabriken einschließt, soll auf Gebäude und Verkehr ausgedehnt werden.

EU-Kommission soll laut Medienberichten Verbot von Verbrennungsmotoren prüfen

Fraglich bleibt jedoch, was passieren soll, wenn sich die EU-Staaten nicht an das vereinbarte Ziel halten. Zudem gibt es Kritik, das Ziel könnte kleingerechnet werden. So heißt es laut Medienberichten in einem Entwurf des EU-Klimagesetzes, das Ziel beziehe sich auf Netto-Emissionen. Dadurch könnten Emissionen durch Maßnahmen, die der Atmosphäre Treibhausgase entziehen, ausgeglichen werden, beispielsweise durch Aufforstung. Für das bisher geltende Reduktionsziel von 40 Prozent waren solche Gegenrechnungen nicht enthalten.

Laut dem internen Papier der EU-Kommission könnten die schärferen Klimaschutzziele vor allem die Automobilindustrie treffen. Bislang sollen Hersteller den Ausstoß von Neufahrzeugen bis 2030 um im Schnitt 37,5 Prozent senken, nun stehen Reduktionen um etwa 50 Prozent im Raum. Dabei gibt es bereits Zweifel, dass Autohersteller die bisherigen Ziele umsetzen können. Zudem will die EU-Kommission offenbar ein Verbot von Verbrennungsmotoren prüfen. Die EU-Kommission wollte die Pläne jedoch nicht bestätigen.

Icon: Der Spiegel

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