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Türkei: Recep Tayyip Erdogan stellt soziale Medien unter Kontrolle

July 31
21:37 2020
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Präsident Erdogan: Der letzte Nagel auf dem Sarg der türkischen Demokratie

Foto: Turkish Presidential Press Service/ AFP

Sie haben ihm seinen Job weggenommen, ihn ins Gefängnis gesteckt und schließlich aus dem Land verjagt. Weil Can Dündar kritisch über Präsident Recep Tayyip Erdogan berichtet hat, ist es ihm nicht mehr möglich, als Journalist in der Türkei zu arbeiten.

Dündar, 59, der frühere Chefredakteur der Tageszeitung "Cumhuriyet", lebt mittlerweile in Berlin. Er hat gemeinsam mit Correctiv eine Medienplattform aufgebaut, Özgürüz ("Wir sind frei"), doch auch diese wird in der Türkei immer wieder gesperrt. Dass Dündars Stimme in seinem Heimatland nicht gänzlich verstummt ist, liegt vor allem an den sozialen Medien. Auf Twitter hat er fast fünf Millionen Follower.

"Ein neues, dunkles Zeitalter"

Anderen regierungskritischen Reporterinnen und Reportern geht es ähnlich, der Fernsehjournalistin Banu Güven etwa folgen 2,5 Millionen Menschen auf Twitter, obwohl auch sie seit längerer Zeit nicht mehr für einen großen türkischen Medienkonzern arbeitet. "Für uns ist Twitter eine letzte Form der Gegenöffentlichkeit", sagt Dündar.

Nun dürfte auch damit Schluss sein. Das türkische Parlament hat Mitte der Woche ein Gesetz verabschiedet, das die Kontrolle des Staates über Anbieter wie Twitter oder Facebook massiv ausweitet.

Das Gesetz soll ab 1. Oktober gelten. Es sieht vor, dass sich Plattformen mit mehr als einer Million Nutzern mit einer Niederlassung in der Türkei registrieren müssen. Nutzer müssen sich zudem künftig mit Namen und Adresse anmelden. Außerdem sollen Plattformbetreiber gezwungen werden, Posts nach Beschwerden von Betroffenen unmittelbar zu löschen.

Wer sich nicht an die Regeln hält, muss mit Strafen von über 120.000 Euro rechnen. Behörden sollen bei Verstößen außerdem die Bandbreitengeschwindigkeit massiv drosseln können. Der türkische Digitalrechtsexperte Yaman Akdeniz spricht von einem "neuen, dunklen Zeitalter".

Präsident Erdogan hat die Pressefreiheit in der Türkei in den vergangenen Jahren mehr oder weniger abgeschafft. Fast sämtliche Zeitungen, Fernseh- und Radiosender gehören Konzernen an, die der Regierung nahestehen. Dutzende Journalistinnen und Journalisten sitzen im Gefängnis.

Trotz verschiedener Bemühungen ist es dem Regime aber bislang nicht gelungen, auch das Internet komplett unter seine Kontrolle zu bringen. Zwar wurden allein im vergangenen Jahr 140.000 Internetseiten in der Türkei gesperrt, 40.000 Twitter-Posts und 10.000 YouTube-Videos wurden gelöscht. In einem Ranking zu Internetfreiheit der NGO Freedom House liegt die Türkei hinter Zimbabwe, Ruanda und Aserbaidschan.

Und doch nutzen gerade junge Menschen die sozialen Medien, um frei und offen zu diskutieren. Bereits 2013 organisierten sich die Demonstrantinnen und Demonstranten im Istanbuler Gezi-Park über Twitter und Facebook. Der Oppositionspolitiker Ekrem Imamoglu hat seinen Sieg bei den Kommunalwahlen in Istanbul 2019 unter anderem einer geschickten Digitalstrategie zu verdanken. Und erst vor Kurzem torpedierten Studentinnen und Studenten einen Videotalk Erdogans, indem sie während einer Ansprache des Präsidenten zu Tausenden unter dem Hashtag "unsere Stimme kriegst du nicht" twitterten.

Zwar ist Erdogan selbst auf Twitter aktiv, der Präsident hat 16,4 Millionen Follower. Aber die sozialen Medien sind bis heute ein Ort, an dem die liberale, widerständige Türkei zusammenfindet. Genau das will die Regierung nun offensichtlich ändern.

"Unsere Stimme kriegst Du nicht"

Erdogan hat die sozialen Medien seit Langem im Visier. Während der Gezi-Proteste bezeichnete er Twitter als die "schlimmste Plage der Gesellschaft". Als Internetnutzer vor Kurzem seine Tochter Esra und deren Ehemann, Finanzminister Berat Albayrak, beleidigten, kündigte er abermals Konsequenzen an. "Wir akzeptieren nicht, dass 83 Millionen Bürger gegen den Terror der sozialen Medien wehrlos sind", sagte er.

Offiziell heißt es nun, man wolle mit dem neuen Gesetz gegen Beleidigungen und Falschmeldungen in den sozialen Medien vorgehen. "Während die konventionellen Medien im Rahmen einer gewissen Ordnung agieren, tun die sozialen Medien was sie wollen", sagte der Vizechef der Regierungspartei AKP, Cahit Ozkan.

Tatsächlich aber dürfte es darum gehen, die Zensur auszuweiten. Dieses Gesetz sei der letzte Nagel auf dem Sarg der türkischen Demokratie, warnt Journalist Can Dündar. "Wenn es in Kraft tritt, dann ist von der Meinungsfreiheit in der Türkei nichts mehr übrig."

Icon: Der Spiegel

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