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SPD: Was Olaf Scholz von Martin Schulz lernen muss

August 12
19:46 2020
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Martin Schulz, Olaf Scholz

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Wolfgang Kumm / picture alliance/dpa

Ziemlich nervös haben die führenden Genossen ihren Sommerurlaub verbracht. Kriegen wir die Nominierung von Olaf Scholz sauber über die Bühne? Stehen Präsidium und Vorstand der SPD geschlossen hinter dem Kanzlerkandidaten? Wie stark wird der Gegenwind?

Zwei Tage nach der Entscheidung, deren Zeitpunkt das politische Berlin überraschte, sind Scholz, die Parteivorsitzenden Saskia Esken und Norbert-Walter-Borjans sowie Generalsekretär Lars Klingbeil zufrieden. Ihre vertrauliche Planung hat funktioniert, die Kritik in den eigenen Reihen hält sich in Grenzen – und der politische Gegner scheint ein wenig überrumpelt.

Die Erleichterung in der SPD-Spitze darüber ist verständlich, nach all dem strategischen Durcheinander der vergangenen Jahre. Endlich hat mal etwas geklappt, freuen sich die Sozialdemokraten.

Dabei wirkt dieser Anflug von Euphorie angesichts der Ausgangslage fast schon kurios. Nach wie vor liegt die SPD in den Umfragen deutlich unter dem Wahlergebnis von 2017 – und jene 20,5 Prozent vor drei Jahren waren das schlechteste Ergebnis der Partei bei einer Bundestagswahl überhaupt.

Martin Schulz, darauf verweisen sie in der SPD derzeit gern, habe damals viel zu wenig Zeit gehabt, sich als Kanzlerkandidat zu profilieren und eine Strategie zu entwickeln. "Bis zum 23. Januar 2017 wusste niemand im Willy-Brandt-Haus, der mit Öffentlichkeitsarbeit, interner Organisation, Kampagnenplanung oder Veranstaltungsmanagement zu tun hatte, dass am nächsten Tag ein neuer Kanzlerkandidat präsentiert würde." So steht es in der 108-seitigen Analyse der Partei mit dem Titel "Aus Fehlern lernen" aus dem Sommer 2018. Ex-Parteichef Sigmar Gabriel hatte Schulz' Kandidatur seinerzeit in einem "Stern"-Interview verkündet – acht Monate vor der Wahl.

Das sollte dieses Mal auf jeden Fall anders werden, sagt Generalsekretär Klingbeil: "Wir sind nicht reingestolpert in die Kandidatur und haben jetzt noch mehr als ein Jahr Zeit bis zur Bundestagswahl." Klingbeil organisiert den Wahlkampf, der aber, wie er betont, jetzt noch nicht beginne, sondern lediglich vorbereitet werde.

Und vorzubereiten gibt es so einiges. Neben der Kandidatenkür und der Aufstellung der Kampagne will die SPD unter Scholz vieles anders, vieles besser machen als unter Schulz.

Das Teamwork

Die SPD streitet gern. Nicht nur mit dem politischen Gegner, sondern auch leidenschaftlich mit sich selbst, in der Vergangenheit oft öffentlich. Bei vielen Wählern hinterließ das den Eindruck einer zerrissenen Partei, die ständige Selbstbeschäftigung kostete Stimmen. Bei Schulz 2017 waren viele Genossen zunächst zwar froh, Sigmar Gabriel los zu sein. Als der anfängliche Hype im Frühjahr aber in Ernüchterung umschlug, gingen die Lästereien über den Vorsitzenden wieder los.

Ausgerechnet die Rivalen im Kampf um die Nachfolge von Andrea Nahles wollen es nun besser machen. "Wir haben ein ehrliches Vertrauensverhältnis", sagt Walter-Borjans, der sich mit Esken im Mitgliederentscheid gegen Scholz und Klara Geywitz durchgesetzt hatte. Es gebe "keinerlei misstrauisches Beäugen der Führungen von Partei, Fraktion und unserem Regierungsteam", beteuert der SPD-Chef und verweist auf die Absprachen über die Scholz-Kandidatur Anfang Juli, an die sich alle gehalten hätten.

Auch Juso-Chef Kevin Kühnert, führender Kritiker der Großen Koalition, sagt, der Respekt im Umgang miteinander müsse zur "gelebten Selbstverständlichkeit" werden. Noch so ein Satz aus der Fehleranalyse von 2018. Doch wie weit es mit der Geschlossenheit wirklich ist, wird man erst sehen, wenn es zum ersten Mal knirscht in der Scholz-Kampagne.

Das Programm

Ein großes Problem haben die Sozialdemokraten darin ausgemacht, dass ihr Programm 2017 zu unkonkret und zu vorsichtig gewesen sei. Man sei mit einem "Bloß keinem weh tun"-Programm angetreten. Der Kandidat Schulz blieb häufig im Ungefähren. In der Fehleranalyse der Partei heißt es: "Schnell wurde deutlich, dass dem Kandidaten die inhaltliche Substanz fehlte. Von wenigen Vorschlägen abgesehen, verabschiedete sich Schulz weitgehend aus der inhaltlichen Debatte über die Zukunft Deutschlands."

Dieses Mal haben die Vorbereitungen für das Programm bereits vor der Sommerpause begonnen, anderthalb Jahre vor der Bundestagswahl. Es gibt Arbeitsgruppen, die Vorschläge entwickeln. Verantwortlich sind die Parteichefs und der Generalsekretär, aber auch Scholz soll das Programm prägen. Walter-Borjans und Klingbeil sehen darin keinen Widerspruch: "Wir haben große Übereinstimmungen", sagt Walter-Borjans. Dass Scholz wie Peer Steinbrück 2013 "Beinfreiheit" in seiner Kampagne einfordert, erwartet Klingbeil nicht: "Scholz wird sich nicht auf Kosten der Partei profilieren."

Die Botschaften

Entscheidender als das Programm, das kaum ein Wähler lesen dürfte, sind die Botschaften, mit denen eine Partei antritt. Im Schulz-Wahlkampf 2017 mangelte es an Zuspitzungen. "Die Genossen an den Infoständen wussten nicht: Was sind die fünf Ziele, für die wir kämpfen?", sagte die damalige Vorsitzende Andrea Nahles in einem SPIEGEL-Interview 2018.

Hintergrund war, so Nahles, dass die SPD ihre internen Widersprüche nicht aufgelöst hatte. Zum Beispiel in der Arbeits- und Umweltpolitik, aber auch in der Sozialpolitik. In letzterem Bereich hat Nahles mit dem Sozialstaatskonzept ein Erbe hinterlassen, von dem auch Scholz profitieren könnte. Die SPD verabschiedete sich bei ihrem Parteitag im Dezember 2019 von Hartz IV und befreite sich damit von einem Trauma, unter dem sie lange gelitten hatte.

Nun ist Scholz aber nicht gerade als Mann der klaren Botschaften bekannt. Will er eine Chance auf das Kanzleramt haben, wird er nicht so zurückhaltend auftreten können wie im internen Rennen um den SPD-Vorsitz 2019.

Scholz' Chance

Obwohl die Lage der Partei nach zahlreichen Wahlniederlagen und angesichts dauerhaft schlechter Umfragewerte prekär ist, ist Scholz nicht chancenlos. Im Gegensatz zu Schulz hat er zwei große Vorteile:

  • Kanzlerin Angela Merkel (CDU), die seit 2005 regiert, tritt im kommenden Jahr nicht wieder an.

  • Und: Anders als Schulz ist Scholz Teil der Regierung. Als Vizekanzler und Finanzminister muss er nicht krampfhaft nach Gelegenheiten suchen, sich zu profilieren. Er ist einer der wichtigsten Manager der Coronakrise und prägt das Bild der SPD in der Regierung.

Und daran, so viel kann ihm Hoffnung machen, haben derzeit nicht einmal die GroKo-Gegner in der SPD etwas auszusetzen.

Icon: Der Spiegel

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