Kamala Harris und Joe Biden: Die Frau, die ihm nicht schadet

Joe Biden und Kamala Harris (im September 2019): Dass sie Wähler begeistern kann, hat sie noch nicht bewiesen
Foto: David J. Phillip / AP
Es hätte sachkundigere Kandidatinnen gegeben, wie die linke Senatorin Elizabeth Warren. Es hätte Frauen mit mehr Regierungserfahrung geben, wie Gretchen Whitmer, die Gouverneurin von Michigan. Val Demings, die Kongressabgeordnete aus Florida, wäre eine interessantere Wahl gewesen.
Am Ende hat sich Joe Biden für Kamala Harris entschieden. Die kalifornische Senatorin soll Vizepräsidentin werden, wenn der demokratische Herausforderer im November die Wahl gegen Donald Trump gewinnt.
Harris ist die erste nicht-weiße Frau, die für dieses Amt nominiert ist. Ihre Mutter stammt aus Indien, ihr Vater aus Jamaika. Sie war Justizministerin in Kalifornien und ist seit vier Jahren Senatorin in Washington. (Lesen Sie hier mehr über ihre Laufbahn)
Sie hat eine durchaus beachtliche politische Karriere hinter sich, aber für Biden war vor allem interessant, was sie alles nicht ist: nicht zu links, nicht zu alt, nicht zu unerfahren, nicht weiß.
Im Vorfeld von Bidens Entscheidung ist viel darüber geschrieben worden, was seine Kandidaten angeblich alles können muss: Sie sollte, so hieß es, die Wähler in den Swings States mobilisieren. Sie sollte die Afroamerikaner an die Partei binden. Sie sollte ein dynamisches Gegenbild zu Bidens Betulichkeit sein.
All das hat bei Bidens Entscheidung vermutlich eine Rolle gespielt, aber entscheidend war etwas anderes. Der demokratische Präsidentschaftskandidat liegt in den landesweiten Umfragen zehn Prozentpunkte vor Trump. Seine Kandidatin soll ihm vor allem nicht schaden.
Eine weiße Frau wie Whitmer hätte die Teile der afroamerikanischen Wählerschaft verärgern können, die lautstark eine schwarze Kandidatin gefordert haben. Eine Linke wie Warren hätte womöglich die republikanischen Wähler und Wählerinnen in den Vorstädten verschreckt, die sich gerade von Trump abwenden.
Hauptaufgabe: bitte keine Wähler verschrecken
Harris verschreckt nicht. Sie begeistert auch nicht. Sie ähnelt darin Biden selbst. Er ist der kleinste gemeinsame Nenner, auf den die Partei sich verständigt hat, um Trump zu schlagen. Warum sollte er nun eine Partnerin wählen, die dieses Konstrukt gefährdet?
Harris eigene Präsidentschaftskampagne ist überraschend früh gescheitert, worauf der amtierende Präsident genüsslich hingewiesen hat. Sie hat es nicht einmal bis zur ersten Vorwahl in Iowa geschafft.
Dass sie Wähler begeistern kann, hat sie noch nicht bewiesen. Aber ihre Aufgabe ist es vor allem, keine Wähler zu verprellen.
Keinen Zweifel gibt es daran, dass Harris flexibel genug ist, sich in ihre neue Rolle schnell einzufügen. Während der demokratischen Vorwahldebatten warf sie Biden eine angebliche Nähe zu rassistischen Senatoren vor, etwas, das sie persönlich genommen und als verletzend empfunden habe. Sobald Biden als Kandidat feststand, stellte sie sich als eine der ersten hinter ihn.
Mit Trumps Richter-Anwärter ging sie hart um
In ihrer Zeit als kalifornische Justizministerin vertrat sie eine harte Linie in der Strafverfolgung, die sich in der Praxis vor allem gegen Schwarze richtete. Seit die Proteste der Black-Lives-Matter-Bewegung das Land erschüttern, marschiert sie Seite an Seite mit den Demonstranten und verlangt eine umfassende Polizeireform.
Harris hat gute Beziehungen zum demokratischen Establishment. Gleichzeitig ist sie keine Reizfigur für die Parteilinke. Sie kann sehr kraftvoll für eine Sache werben, wobei sie sich ungern auf inhaltliche Positionen festnageln lässt.
In Anhörungen des Senats hat sie aus Sicht der Demokraten eine gute Figur gemacht, vor allem bei der Befragung von Brett Kavanaugh, Trumps Kandidaten für den Supreme Court.
Die bevorstehende Debatte mit Vizepräsident Mike Pence muss sie nicht fürchten.
Die Kampagne kann nur ein Ziel im Fokus haben
In den vergangenen Wochen ist vielfach darauf hingewiesen worden, dass die Kandidatin das Präsidentenamt übernehmen können muss, wenn der aktuell 77 Jahre alte Biden aus gesundheitlichen Gründen dazu nicht mehr in der Lage sein sollte. Es besteht kein Zweifel daran, dass Harris sich dem gewachsen fühlt.
Aber Biden hat diesem Aspekt keine große Bedeutung beigemessen. Sonst hätte er keine Frau nominiert, die in der Partei selbst gegen Pete Buttigieg, den früheren Bürgermeister von South Bend in Indiana, keine Chance hatte. Das ist nur konsequent. Weshalb sollte der Kandidat sich Gedanken über seine Nachfolge in einem Amt machen, das er noch gar nicht innehat?
Biden hat, wie die gesamte Partei, alle inhaltlichen und personellen Fragen einem einzigen Ziel untergeordnet. Er will Donald Trump im November besiegen. So gesehen ist Kamala Harris die richtige Wahl.
Icon: Der Spiegel