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Friedrich Merz nach Absage von CDU-Parteitag: Der wütende Kandidat

October 26
20:49 2020
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Vorsitzendenkandidat Merz

Foto: Rolf Vennenbernd / dpa

Immerhin eine Sache ist jetzt geklärt: Zum CDU-Parteitag in der Stuttgarter Messe, geplant für den 4. Dezember, wird niemand anreisen müssen. Das dürfte einem großen Teil der 1001 Delegierten genauso recht sein wie den Verantwortlichen im Gesundheitsamt des Landkreises Esslingen, in dessen Gemarkung die Veranstaltungshallen unweit des Flughafens liegen.

Generalsekretär Paul Ziemiak, der die Absage am Montagmittag nach den Sitzungen der CDU-Gremien verkündet, konnte zuletzt noch so tapfer auf das angeblich ausgeklügelte Gesundheitskonzept verweisen, das im Konrad-Adenauer-Haus für den Parteitag erarbeitet wurde – eine solche Großveranstaltung ist gerade für die Christdemokraten angesichts der explodierenden Corona-Zahlen nicht zu rechtfertigen.

Ziemiak hatte mit eigenen Ohren gehört, wie Kanzlerin Angela Merkel am Morgen im Parteipräsidium die Lage als "hochdynamisch" und "dramatisch" beschrieb – tatsächlich könnten die von ihr vor einigen Wochen für Weihnachten prognostizierten Infektionszahlen angesichts der jüngsten Entwicklung schon bald erreicht sein. Nun sagt der Generalsekretär: "Wir wissen, welche Verantwortung uns zukommt."

So ist das als Kanzlerpartei. Wer von den Menschen erwartet, soziale Kontakte in der kommenden Zeit auf ein Minimum zu beschränken, der kann nicht die eigenen Leute zum Parteitag zusammentrommeln.

Andererseits versucht die CDU nun schon seit dem Frühjahr erfolglos, einen neuen Vorsitzenden zu wählen – womit sie Gefahr läuft, nach der anstehenden Bundestagswahl als Ex-Kanzlerpartei dazustehen. Vor allem vor den Grünen hat man Angst. Und die ist nach der Entscheidung vom Montag nicht kleiner geworden.

Noch ist der Vorsprung in den Umfragen zwar stattlich. Doch der bürgerliche Wähler goutiert weder Streit noch Unsicherheit. Die aber drohen der CDU nun über Wochen und Monate. "Die Lage ist, wie sie ist", sagt Generalsekretär Ziemiak. Er hätte das auch deutlich drastischer ausdrücken können.

Schon vor zehn Monaten hatte Annegret Kramp-Karrenbauer ihren Rückzug bekannt gegeben, aber auch am 4. Dezember wird nun keine Wahl über ihre Nachfolge stattfinden. Wie und wann diese Personalie stattdessen entschieden wird, ist weiter offen. Gleichzeitig richtet der Vorsitzendenkandidat Friedrich Merz seinen Ärger über die erneute Verschiebung zunehmend gegen die aktuelle Parteiführung. Das verheißt nichts Gutes für den weiteren Wettstreit um die Spitze.

Der Beschluss des Bundesvorstands sieht vor, dass die Führungsgremien nach der Absage des Parteitags am 14. Dezember eine Neubewertung der Lage vornehmen – darauf drangen nach SPIEGEL-Informationen die Vertreter der Jungen Union und der Mittelstandsunion. Die ursprüngliche Empfehlung Kramp-Karrenbauers, vom Präsidium so ohne Gegenstimmen gebilligt, sah diese Neubewertung erst für die Vorstandsklausur Mitte Januar vor. Dann soll sie nun spätestens stattfinden.

Die CDU favorisiert weiterhin klar einen Präsenzparteitag, ein reiner Digitalparteitag gilt nur als Not-Option, zumal nach geltender Rechtslage die Wahl des Vorsitzenden sowie aller neu zu besetzenden Posten im Vorstand in jedem Fall analog, also per Briefwahl stattfinden müssten. 70 Tage müsste man dafür in jedem Fall einkalkulieren, sagt Generalsekretär Ziemiak. Zusätzlich soll die Unionsfraktion im Bundestag versuchen, eine Grundgesetzänderung zu erreichen, die auch Wahlen auf digitalem Wege zuließe.

Aus Sicht des Kandidaten Merz richtet sich all das gegen ihn. "Es gibt Teile des Parteiestablishments, die verhindern wollen, dass ich Parteivorsitzender werde und damit wird jetzt auch dieser Parteitag verbunden", sagte Merz noch vor der Absage-Entscheidung am Montag im ARD-"Morgenmagazin". Am Abend zuvor hatte er mit seinen Mitbewerbern Armin Laschet und Norbert Röttgen und Parteichefin Kramp-Karrenbauer über das weitere Vorgehen beraten. Sollte man sich selbst gegen einen Digitalparteitag am 4. Dezember entscheiden, "gibt es offensichtlich Gründe, die mit Corona wenig oder gar nichts zu tun haben", sagte Merz nun. Die entsprechende Entscheidung des Bundesvorstands kommentiert er später mit den Worten: "Die Verschiebung des Parteitags ist eine Entscheidung gegen die CDU-Basis."

Merz klingt fast wie Trump

Ich gegen die Parteielite – dieses Narrativ bedient Merz schon seit Längerem. Aber so offensiv, beinahe im Duktus von Donald Trump, der sich als Seiteneinsteiger 2016 die Nominierung als US-Präsidentschaftskandidat gegen das republikanische Establishment erkämpfte, hat es Merz noch nie formuliert. Mit dem Unterschied, dass Trump wirklich als Politikneuling und Außenseiter antrat, während Merz schon Unionsfraktionschef war und 2018 Kramp-Karrenbauer nur äußerst knapp im Vorsitzendenrennen unterlag. Das Angebot, sich seinerzeit in die Parteiführung wählen zu lassen, schlug er anschließend aus.

Aus Merz' Sicht stellt sich die Lage so dar: Er liegt in allgemeinen Umfragen, selbst wenn die für einen Delegiertenparteitag nur bedingte Aussagekraft haben, klar vor den Konkurrenten Laschet und Röttgen. Deshalb will er die Entscheidung, so rasch es nur geht. Für Laschet, Parteivize und Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, muss es dagegen nicht so schnell sein, dem CDU-Außenpolitiker Röttgen werden ohnehin kaum Chancen ausgerechnet. Auch das Szenario eines Konsenskandidaten Jens Spahn könnte aus Sicht seiner Anhänger realistischer werden, je mehr Zeit vergeht.

Dass Parteichefin Kramp-Karrenbauer Teilnehmern zufolge im Bundesvorstand sagte, ein Präsenzparteitag könnte sogar erst nach Ostern stattfinden, erzürnt Merz und seine Anhänger erst recht. "Da geht es nur darum, ihn auszubremsen", sagt einer von ihnen. Weil man sich von der Führung so schlecht behandelt fühlt, macht im Merz-Lager nun wieder die Idee eines Mitgliederentscheids die Runde, auch wenn ein Antrag auf dieses Instrument mit bindender Wirkung erst auf dem letzten Bundesparteitag abgelehnt wurde.

Auf die Merz-Attacken angesprochen sagt Ziemiak: "Wir stehen zusammen als Partei." Das allerdings ist wohl mehr ein frommer Wunsch. In Wirklichkeit stehen der CDU unangenehme Wochen bevor, falls der Kandidat Merz nun auf seine Konfrontation setzt und seine Anhänger mitziehen.

Da hilft es auch wenig, dass man die CDU-Beschlüsse vom Montag bei der Schwesterpartei in München mit großer Sympathie sehen dürfte. Für die CSU kann es gar nicht langsam genug gehen mit den Personalentscheidungen in der Union: Je später die CDU ihre Führungsfrage klärt, umso eher geht der Plan der Christsozialen auf, auch die Kanzlerkandidatur so spät wie möglich zu entscheiden. Natürlich immer mit Blick auf ihren Vorsitzenden Markus Söder, laut Umfragen bei den Wählern der absolute Favorit als Kanzlerkandidat der Unionsparteien.

Wird es tatsächlich Söder, dann wäre die CDU nach der nächsten Bundestagswahl in jedem Fall eine Ex-Kanzlerpartei.

Icon: Der Spiegel

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