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Corona und die Krise der Innenstädte: „Wenn wir jetzt nichts tun, ist die Party vorbei“

August 02
05:06 2020
Fußgängerzone in Heidelberg: gewinnmaximierte Eintönigkeit Icon: vergrößern

Fußgängerzone in Heidelberg: gewinnmaximierte Eintönigkeit

Foto: Uwe Anspach/ DPA

SPIEGEL: Herr Krüger, Sie forschen seit Jahren über die Zukunft unserer Innenstädte. Werden diese Zentren, so wie wir sie kannten, auf Dauer verschwinden?

Krüger: Unsere Innenstädte haben einen großen Wettbewerber: das Internet. Gerade in den großen Citys stagnieren seit Jahren die Besucherzahlen, nun kommt noch Corona dazu: Die Nachfrage ist weg, es gibt weniger Touristen, Messebesucher, Geschäftsleute. Das wird Tendenzen verstärken, die ohnehin angelegt waren, mobiles Arbeiten etwa oder den Online-Einkauf, der Umsatz aus der City wegnimmt. Auch das Erlebnis verschwindet aus der Fußgängerzone. Kino, Café, Tanz – das war alles mal Innenstadt. Und das findet heute daheim statt.

SPIEGEL: Sie glauben nicht daran, dass Erlebnis und Bummeln nach Corona in die City zurückkommen?

Krüger: Der Niedergang der Innenstädte hat ja schon vor Jahren eingesetzt. Die Pandemie hat das nur beschleunigt. Berlin etwa hat mit Städtetouristen im vergangenen Jahr 13 Milliarden Euro Umsatz in die Stadt geholt. Der ist nun weg. Der Einzelhandel hat ein riesiges Minus, etwa im Bereich Mode. Die Sommerkollektionen sind bezahlt und liegen jetzt wie Blei in den Läden. In der Gastronomie reden wir von einem Einbruch um mindestens 30 Prozent, aufs Jahr gerechnet. Dieses Geschäft ist für immer verloren.

SPIEGEL: Was kann man dagegen tun?

Krüger: Es rächt sich jetzt, dass die Innenstädte Jahrzehnte lang nur nach dem Prinzip der Mietenmaximierung bewirtschaftet wurden. Die Erdgeschosse der City-Häuser gleichen ja inzwischen einem mittelmäßigen Shoppingcenter: Alles ist gleichförmig, überall dasselbe Angebot. Ja: Warum sollen denn die Menschen da noch hingehen? Händler, die die Wertschöpfung leisten, und Eigentümer, die davon eine Rente beziehen, müssen sich sehr ernst unterhalten und sich klarmachen: Wenn wir jetzt nichts tun, ist die Party bald ganz vorbei. Die Einbrüche durch Corona sind für viele Betriebe lebensgefährlich. Ich glaube nicht, dass da so schnell etwas Neues entsteht. Es braucht Jahre, neue Geschäftskonzepte zu konsolidieren. Und wenn die Geschäftsstraßen erst mal sichtbar bröckeln, ist es wahnsinnig schwer, sie neu zu beleben. Wir brauchen jetzt einen organisierten Übergang von einer alten Innenstadt in eine neue. Ideen wie wir die Zentren beleben: Wie gehen wir mit weniger Flächen um, wie kann die Innenstadt wieder einzigartig werden und nicht uniform bleiben?

SPIEGEL: Wer soll diese Initiative ergreifen?

Krüger: Bislang gibt es ja meist noch gar keine richtige Zusammenarbeit. Die Akteure der Innenstadt sind extrem fragmentiert. Das ist das zentrale Problem: Alle sitzen in einem Boot, das Innenstadt heißt. Aber sie kennen sich oft gar nicht, und jeder rudert für sich. Wie soll da koordiniertes Handeln entstehen? Man braucht einen vernünftigen Nutzungsmix, unterschiedliche Mieten. Es bräuchte eigentlich einen Innenstadtmanager, der die City verwaltet wie eine Mall. Mit einigen Mietern, die viel und anderen, die wenig zahlen können, mit dem Juwelier genauso wie mit dem Blumenladen und der Eisdiele. Wir brauchen auch wieder Kultur, Bildung, Wohnen und Arbeiten im Zentrum. Dieser Dialog der City-Akteure fehlt weitgehend. Er entsteht nicht von allein, schon gar nicht in der Krise. Er kann und muss aus dem Rathaus angestoßen und moderiert werden. Der reine Markt wird das Problem jedenfalls nicht lösen, das wäre der Niedergang der Zentren.

SPIEGEL: Die Lösung liegt also bei den oft klammen Kommunen? Wie genau stellen Sie sich das vor?

Krüger: Klar, die Städte haben heute schon viele andere Baustellen. Nun kommen auch noch die Zentren dazu. Andererseits kann nur das Rathaus über den öffentlichen Raum verfügen, es kann investieren und Impulse geben. Die Städte sollten einen klaren Deal anbieten: Liebe Vermieter, Händler, Gastronomen, Kulturschaffende, Investoren – setzt euch bitte zusammen und macht Vorschläge. Erstens, was ihr selbst tun könnt – und dann zweitens, was ihr von uns möchtet. Und dann machen wir auch mit. Innenstadt ist eine Gemeinschaftsveranstaltung. Es ist nicht möglich, dass allein die Kommune ihre Zentren rettet. Neue Radspuren oder ein neues Straßenpflaster machen noch kein attraktives Zentrum. Es geht darum, dass man in der Innenstadt Dinge bekommt, die man nirgendwo anders bekommt. Es braucht also mehr Spezialisten, beratungsintensive Angebote. Der Schaufensterbummel muss wieder Freude bereiten. Es muss wirklich etwas Neues zu entdecken geben, und man muss etwas erleben können.

SPIEGEL: Klingt schön, aber ehrlich gesagt wenig realistisch.

Krüger: Wir erleben einen schweren Einbruch, der gerade erst eingesetzt hat. Aber diese Krise ist auch eine Chance, gemeinsam Konzepte zu entwickeln. Wir haben gar keine Alternative. Noch beneidet uns die ganze Welt um unsere hoch attraktiven, lebendigen, gewachsenen Zentren. Das ist doch der große Unterschied zu den USA, Lateinamerika oder Asien. Aber wenn die Innenstädte erst einmal unten sind, bekommen wir sie nicht wieder hoch. Woher soll denn künftig der Städtetourismus kommen, wenn kein attraktives Zentrum mehr da ist? Nein: Alle Beteiligten müssen jetzt verstehen, dass die City zu einem echten Public-private-Partnership werden muss. Ein gemeinsames Projekt der Stadtgesellschaft.

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