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Corona-Krise: Streit um Konjunkturhilfen – Milliarden als Medizin (und ihre Nebenwirkungen)

May 30
16:38 2020
Verhandler Olaf Scholz (SPD), Angela Merkel (CDU) Icon: vergrößern

Verhandler Olaf Scholz (SPD), Angela Merkel (CDU)

JOHN MACDOUGALL/ AFP

Am Dienstag will die Bundesregierung entscheiden, wer von einem geplanten Konjunkturpaket profitiert. Sicher ist bisher vor allem eins: Es wird teuer – von einem Volumen bis zu 100 Milliarden Euro gehen Experten aus.

Die Liste von Forderungen und Lobbyistenwünschen ist lang: Kinderbonus, Steuersenkungen – oder doch eine Abwrackprämie? Die vorgeschlagenen Maßnahmen unterscheiden sich gewaltig in der Art und Weise, wie sie der Wirtschaft helfen. Und vor allem: ob.

Erfahrungen aus der Vergangenheit helfen dabei wenig. Was in der letzten Krise noch sinnvoll war, muss es in der aktuellen Pandemielage nicht mehr sein.

Grob lassen sich die Vorschläge in drei Kategorien ordnen:

  • Maßnahmen zur Stützung des Konsums,

  • Hilfen zur Stabilisierung besonders stark betroffener Unternehmen sowie

  • Wachstumsimpulse durch gezielte staatliche Investitionen.

Konsumhilfen: Kaufen für die Konjunktur

Wer mehr Geld in der Tasche hat, gibt auch mehr aus – und hilft so mittelbar der ganzen Wirtschaft. So lautet verkürzt ein Kernargument für Konjunkturhilfen wie Einmalzahlungen oder Steuersenkungen.

In der aktuellen Krise gilt das allerdings nur bedingt – und zwar aus zwei Gründen: Erstens hat der wirtschaftliche Absturz zu einer Verunsicherung der Bürger geführt. Steuersenkungen und Einmalzahlungen verpuffen aber, wenn Konsumenten aus Zukunftsangst mehr Geld auf die Seite zu legen. "Die positiven Effekte solcher Maßnahmen werden kleiner sein als üblich, weil die Verunsicherung außergewöhnlich hoch ist", sagt Tom Krebs, Professor für VWL in Mannheim.

Zweitens dürften Hilfen – solange die Ansteckungsgefahr nicht gebannt ist – auf keinen Fall zu höherer Auslastung von Shoppingcentern oder Gaststätten führen. Auch Dominika Langemayr von der Universität Eichstätt ist deshalb "skeptisch, ob jetzt der richtige Zeitpunkt ist, den Konsum zu stützen".

Die Regierung diskutiert trotzdem entsprechende Maßnahmen:

1. Kinderzuschuss für Familien

Status: Die SPD pocht auf 300 Euro Einmalzahlung pro Kind, Teile der Union wollen sogar 600 Euro

Die oben genannten Bedenken gelten auch für den von SPD-Familienministerin Franziska Giffey geforderten Kinderbonus, dennoch können Ökonomen dem Vorschlag durchaus etwas abgewinnen: Bei den meisten Familien sind die Budgets aufgrund ihrer Lebenssituation knapp – das meiste Geld wird ausgegeben. Eine "hohe Konsumneigung" nennt das Christian Odendahl, Chefökonom des Centre for European Reform. Heißt: Eltern konsumieren meistens schneller als andere, auch eine Einmalzahlung würden sie also eher nicht aufs Sparbuch legen.

Aus diesem Grund hält Odendahl auch eine Verdoppelung des Kindergeldes für einen Ansatz, "bis die Krise vorbei ist". Zudem sollten Kinderbetreuungskosten steuerlich besser absetzbar gemacht werden. Dann könnten mehr Eltern als bislang ihre Arbeit wieder aufnehmen. Typische Betreuer und Babysitter wie Studentinnen und Studenten hätten zudem selbst eine hohe Konsumneigung, würden ihren Zuverdienst also wiederum selbst weiter in die Wirtschaft pumpen.

2. Allgemeine Steuersenkungen

Status: Die geplante (Teil-)Abschaffung des Solidaritätszuschlags soll vorgezogen werden.

Die Unionsfraktion hat ihren Widerstand gegen eine Vorziehung der Soli-Abschaffung aufgegeben, er könnte nun schon zum 1. Juli wegfallen, statt erst zum 1. Januar 2021. Ob für alle oder nur für 90 Prozent ist noch umstritten, die SPD möchte die Abgabe wie geplant für Topverdiener erhalten, CDU und CSU sind für die völlige Streichung, auch für die obersten zehn Prozent.

Diskussionen über Steuersenkungen darüber hinaus will Finanzminister Olaf Scholz (SPD) vermeiden – wegen der auf breiter Front wegbrechenden Staatseinnahmen und weil sie wenig zielgenau wirken, wie eine Gießkanne. Da die Mittel des Staates "begrenzt sind, sollten sie da eingesetzt werden, wo sie am wirkungsvollsten sind", mahnt Ökonomin Langenmayr.

Das gilt auch für Überlegungen, die Mehrwertsteuer zu senken – ein Schritt, der allgemein eigentlich als sehr geeignet gilt, um privaten Konsum anzufachen: Würden etwa statt derzeit 19 nur 10 Prozent Mehrwertsteuer auf Waren erhoben, könnte das zu Preissenkungen auf breiter Front führen. Allerdings würden davon auch Branchen profitieren, die bislang gar nicht unter der Krise leiden, der Onlinehandel etwa. Die Einnahmeausfälle für den Staat wären enorm.

3. Stromkosten senken

Status: Vom Sachverständigenrat der Bundesregierung empfohlen.

Über Jahre galt das Mantra: Je höher die Preise für Energie steigen, desto größer ist der Anreiz zum Energiesparen. Höhere Energiepreise sind in diesem Sinne also gut, weil sie eine Lenkungswirkung haben. In der Krise könnte trotzdem eine Ausnahme gemacht werden: Ökonomin Langenmayr empfiehlt eine Senkung der Stromsteuer, "das würde sowohl Unternehmen als auch Endverbrauchern helfen".

Die Stromsteuer wirke regressiv, sie belaste einkommensschwache Haushalte stärker als wohlhabende. Zudem "behindern die hohen Stromkosten eine klimafreundliche Umstellung von Industrie und Verkehr weg von fossilen Energieträgern". Laut einer Beispielrechnung des Sachverständigenrats der Bundesregierung könnte eine Familie durch Senkung der Stromsteuer und Streichung der EEG-Umlage 300 bis 400 Euro pro Jahr sparen.

4. Abwrackprämie

Status: Erfolgsrezept aus der letzten Krise, aber derzeit so beliebt wie Fußpilz. Eine Abwrackprämie ist in der Liste von Scholz' Konjunkturpaket nicht enthalten.

"Deutschland hat einen komparativen Vorteil bei der Autoproduktion", sagt Dalia Marin von der TU München. Die Wertschöpfung des Automobilbaus finde fast ausschließlich im Inland statt, lediglich 29 Prozent der Vorleistungen würden deutsche Autobauer aus dem Ausland importieren, verglichen mit 76 Prozent etwa im Textilbereich. Von Einnahmen der Autoindustrie bleibt also besonders viel bei deutschen Firmen hängen, bei den Autobauern selbst und vielen Zulieferern. "Die Autoindustrie kann die gesamte deutsche Wirtschaft hochziehen", sagt Marin deshalb.

Damit gehört sie allerdings zur überschaubaren Schar der Befürworter einer solchen Maßnahme. Auch die meisten Ökonomen sprechen sich dagegen aus. Die deutsche Autoindustrie ist durch die Dieselmanipulationen in Verruf geraten und hat den Umstieg auf neuartige Antriebe verpasst. "Kurz vor der E-Mobilitätsrevolution noch Steuergelder in Verbrenner zu stecken, wäre absurd, auch wenn es konjunkturell helfen würde", sagt Christian Odendahl.

Ohne strikte Emissionsauflagen bei einer Kaufprämie "würde der Staat nur die Nutzung einer veralteten Technologie subventionieren", findet auch Tom Krebs. Ein Kompromiss wäre, Kaufzuschüsse nur für Motormodelle zu gewähren, die einen Grenzwert von 95 Gramm Kohlendioxid nicht überschreiten. Die großen Spritschlucker von BMW oder Mercedes wären dann außen vor.

In der Orientierung an ökologischen Standards lauert allerdings auch eine Gefahr: Es dürfe nicht passieren, dass der Staat "das eigentliche Ziel der Stabilisierung der Wirtschaft mit anderen Dingen überfrachtet", mahnt Odendahl.

Hilfen für Firmen und Selbstständige: Stützen, bis der Impfstoff kommt

Bei einem ökonomischen Schock ist es oft hilfreich, Firmen zu stützen, damit sie Arbeitsplätze erhalten und nicht sofort eine Kettenreaktion in Gang setzen, die die Wirtschaft dann noch härter trifft. Das hat vor allem in der letzten Weltwirtschaftskrise gut funktioniert. Und auch diesmal setzt die Regierung wieder auf solche Maßnahmen:

5. Verlängerung des Kurzarbeitergeldes

Status: Finanzminister Scholz will Bezugsdauer von 12 auf 24 Monate erhöhen.

In der Finanzkrise 2008/2009 war das Kurzarbeitergeld das womöglich erfolgreichste Instrument, um langfristige Schäden am Arbeitsmarkt zu verhindern. Melden Firmen für Mitarbeiter wegen einer akuten Krise Kurzarbeit an, entfallen die Sozialabgaben. Die Arbeitsagentur übernimmt die Zahlung weiter Teile des Lohns.

Bislang gilt das für maximal zwölf Monate, Finanzminister Olaf Scholz will eine Verlängerung auf bis zu zwei Jahre. Kurzfristig entlastet das Unternehmen, denen das Geschäft wegbricht und hilft ihnen, die Belegschaft zu halten. Für den Staat birgt das aber auch ein Risiko: Hält die Krise an und übersteigt die Zahl der Kurzarbeiter 2,5 Millionen im Jahresmittel, werden die Ausgaben den Rahmen sprengen.

6. Hilfen für Gastronomen, Künstler und Soloselbstständige

Status: teils von Scholz geplant

Bisher hatte Scholz schon 50 Milliarden Euro für Kleinunternehmer und Soloselbstständige bereitgestellt, jetzt muss eine Nachfolgeregelung gefunden werden. Dazu soll ein "Rettungs- und Zukunftspaket Kultur" kommen, so steht es nach SPIEGEL-Informationen in einem Papier des Finanzministeriums.

Für die Gastronomie wird die Mehrwertsteuer auf Speisen ab Juli von 19 auf 7 Prozent gesenkt – befristet für ein Jahr. Die Branche würde diese Regelung gern auch auf Getränke ausdehnen. Ökonom Odendahl hält solche Hilfen für Hotels, Kneipen und Restaurants für sinnvoll: "Diese Branchen müssen mit begrenzter Kapazität arbeiten und damit pro Bett oder Tisch mehr verdienen als sonst."

7. Ausweitung des steuerlichen Verlustrücktrags für Firmen

Status: Forderung von Finanzpolitikern von CDU/CSU

Firmen können grundsätzlich Verluste mit Gewinnen aus dem Vorjahr verrechnen, allerdings nur bis zu einer Grenze von einer Million Euro. Eine Anhebung der Obergrenze – Unionspolitiker sprechen von zehn Millionen Euro – würde "zielgenau Unternehmen helfen, die durch die Coronakrise Verluste machen, aber grundsätzlich funktionierende Geschäftsmodelle haben", sagt die Eichstätter Ökonomin Langenmayr.

Staatliche Investitionen: Geld für die Zukunft

In Sonntagsreden sind sie seit Langem das Lieblingsthema aller Politiker: Investitionen in die Zukunft von Land, Leuten und Wirtschaft. Wenn aber gespart werden muss, stehen sie allerdings auch regelmäßig ganz oben auf der Liste der gestrichenen Posten.

Dabei gilt: Geld, das klug für Investitionen eingesetzt wird, erhält oder erweitert sogar die Leistungsfähigkeit der Wirtschaft. Für Ökonomen ist deshalb klar: Das Konjunkturpaket der Bundesregierung muss Mittel für eine staatliche Investitionsoffensive enthalten.

8. Kommunen entschulden

Status: Herzensprojekt der SPD, aber die Union mauert

Bevor sich die Bundesregierung ernsthaft Gedanken über zusätzliche Investitionsausgaben machen kann, muss sie zunächst einmal dafür sorgen, dass in der Krise nicht massiv Investitionen wegfallen. Das hat unter anderem mit der prekären Situation vieler Städte und Gemeinden zu tun. Vor allem in von Strukturwandel betroffenen Gebieten wie dem Ruhrgebiet sind viele so überschuldet, dass sie nicht einmal mehr Kapazitäten haben, um Fördermittel zu beantragen.

In der Coronakrise kommen auf die kommunalen Haushalte nun noch immense Steuerausfälle hinzu. Kürzen können die Kommunen aber nicht bei den Sozialausgaben, deshalb streichen sie oft die Investitionen. Damit das nicht passiert, hat die SPD bereits mehrfach einen Vorstoß zur Entschuldung besonders betroffener Gemeinden unternommen, die Union bleibt aber bei ihrer Ablehnung. Torsten Schmidt, Konjunkturchef des RWI in Essen, spricht sich deshalb für einen "Rettungsschirm für Kommunen" aus. Das würde "weiterhin Investitionen ermöglichen und so die Nachfrage stabilisieren". Auch Tom Krebs spricht sich für einen mit Bundesmitteln ausgestatteten "Corona-Fonds" für die Kommunen aus.

9. Geld für Klimaschutztechnologien

Status: steht in Scholz' Positionspapier

Im Plan von Finanzminister Scholz gilt dieser Posten als dritte Säule des Konjunkturpakets. Scholz schwebt mehr Geld für Investitionen bei der Bahn vor, der Bau von E-Auto-Ladesäulen oder auch die massive Förderung von Wasserstofftechnologien.

"Ein Investitionsprogramm kurbelt die Konjunktur über einen positiven Erwartungseffekt an", sagt Ökonom Krebs. Das heißt: Wenn der Staat viele Aufträge vergibt, schafft das für private Haushalte und Unternehmen mehr Planungssicherheit. In der Coronakrise sei dieser Mechanismus besonders wichtig, weil die Verunsicherung besonders ausgeprägt ist. "Ein Programm, das Zuversicht in die Zukunft schafft, wird besonders wirksam sein", sagt Krebs.

Dalia Marin von der TU München hingegen warnt. Die Bundesregierung müsse aufpassen, die Konjunkturhilfen nicht mit Komponenten des ökologischen Strukturwandels zu überfrachten. Sonst gleiche sie einem Arzt, "der einem Patienten mit Lungenentzündung verschreibt, jetzt Sport zu machen, um das Immunsystem zu stärken".

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