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Corona-Krise: Deutschland rückt laut Bertelsmann-Studie zusammen

August 12
09:16 2020
Flinger Straße in Düsseldorf: "In einer Krisensituation haben viele echte Solidarität erlebt" Icon: vergrößern

Flinger Straße in Düsseldorf: "In einer Krisensituation haben viele echte Solidarität erlebt"

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Ralph Peters / imago images

Arm und reich, rechts und links, Ost und West: Risse in der Gesellschaft gibt es viele. Wie sich die Corona-Pandemie langfristig auf das Zusammenleben auswirkt, versuchen verschiedene wissenschaftlichen Studien zu vermessen. Eine Erhebung der Bertelsmann Stiftung und des Forschungsinstituts Infas kommt nun zu dem Ergebnis, dass der Zusammenhalt in der Bevölkerung in den vergangenen Krisenmonaten deutlich gestiegen ist.

Sahen noch im Februar 46 Prozent der Menschen den Zusammenhalt hierzulande als gefährdet an, sank dieser Anteil in den Monaten Mai und Juni auf 36 Prozent, wie aus der Studie hervorgeht. Zur gleichen Zeit hatten trotz Kontaktverboten immer mehr Leute das Gefühl, dass die Menschen füreinander einstehen. Während im Februar noch 41 Prozent sagten, die Bürger würden sich nicht um Mitmenschen kümmern, waren dies im Frühsommer nur noch 19 Prozent. Auch stieg das Vertrauen in die Bundesregierung: von 19 auf 45 Prozent; die Zufriedenheit mit der Demokratie von etwa 50 auf 60 Prozent.

Die Ergebnisse basieren auf Umfragen, die in den Monaten Februar und März sowie Mai und Juni in zwei Wellen als Teil der Langzeitstudie "Radar gesellschaftlicher Zusammenhalt" erhoben wurden. Die Studie zeigt seit 2012, wie sozialer Zusammenhalt wahrgenommen wird. Im Vergleich mit der jüngsten Vorgängeruntersuchung 2017 ist der Zusammenhalt in Deutschland stabil. "Auch wenn viele Bürgerinnen und Bürger sich um das Miteinander Sorgen machen", sagt Studienautor Kai Unzicker, sei dieser "insgesamt weiterhin robust".

In der ersten Welle wurden mehr als 3000 Menschen befragt, dabei unterscheiden die Forscher zwischen Interviews vor dem 3. März und danach. Denn dieser Zeitpunkt, so die Forscher, lag zwar noch vor den harten Corona-Einschränkungen, war aber bereits durch Verunsicherung geprägt. Von den Befragten wurden im Mai und Juni 1000 Menschen erneut angerufen. Und dabei zeigte sich, dass 51 Prozent und 41 Prozent der Befragten den Zusammenhalt nach mehr als zwei Monaten Coronakrise besser einstuften als zuvor:

"In einer Krisensituation haben viele echte Solidarität erlebt, dass es Nachbarschaftshilfe beim Einkaufen oder bei der Kinderbetreuung gibt", sagt Studienautor Unzicker. Solange keine Notlage dagewesen sei, habe der Einzelne pessimistisch auf das geblickt, was da womöglich komme – und habe dann festgestellt: so schlimm ist es gar nicht. "Niedergangserzählungen, wie sie von manchen politischen Akteuren gern wiedergegeben werden, entsprachen nicht der empfundenen Realität."

Doch dieses Narrativ gilt nicht für alle. Zwar ließen die Pandemie und ihre Einschränkungen kaum jemanden unberührt. Es gibt laut Studie aber Gruppen, die pessimistischer auf die Krise blicken und weniger gesellschaftlichen Zusammenhalt spüren: Ärmere und weniger gebildete Menschen, Alleinerziehende und Menschen mit Migrationshintergrund. Sie waren bereits vor der Coronakrise eingeschränkt, nun leiden sie noch mehr.

"Jemand, der gut gebildet ist und ein hohes Einkommen hat, hat die Möglichkeit Homeoffice zu machen", sagt Unzicker. "Menschen mit geringerer Bildung und geringerem Einkommen sind dagegen häufiger in Kurzarbeit und von Jobverlust bedroht und da steigen auch die Ängste." Diejenigen, die bereits vor der Krise einen hohen Zusammenhalt kannten, fühlten sich dagegen in den vergangenen Monaten seltener einsam – und hatten weniger Sorgen um ihre eigene Zukunft oder die ihrer Familie.

Die Politik sollte sich laut Unzicker daher verstärkt um besonders betroffene Gruppen kümmern. Es müssten jene angesprochen werden, die nur wenig Zusammenhalt verspüren und von einer schlechteren Versorgung mit sozialer Infrastruktur berichten. "Es geht um mehr Unterstützung in den Stadtteilen, um vor Ort auf die Widrigkeiten des Lebens dieser Menschen reagieren zu können." Sollte sich beispielsweise die Situation bei der Kinderbetreuung oder dem Schulunterricht absehbar nicht deutlich verbessern, ist sich der Forscher sicher, so litten wieder die ohnehin schon Benachteiligten.

Überraschend ist laut Studie auch die Angst vor ökonomischem Abstieg im Vergleich zur Anfangsphase der Pandemie in Deutschland gesunken. War im Februar noch mehr als die Hälfte der Befragten in Sorge, selbst arm zu sein oder zu werden, so sind es im Frühsommer 47 Prozent. Auch die Angst vor Arbeitslosigkeit hat deutlich abgenommen, von 44 Prozent auf 31 Prozent. Ebenfalls etwas weniger sorgen sich die Menschen in Deutschland vor einer Wirtschafts- und Finanzkrise (63 statt 68 Prozent). Unzicker erklärt diese geänderte Stimmung auch mit der öffentlichen Lockerungsdebatte: "Kontaktbeschränkungen wurden aufgehoben und es wurde diskutiert, wohin man wieder in den Urlaub fahren darf."

Offenbar machte sich Erleichterung breit, dass Deutschland bislang so gut durch die Krise gekommen ist. Die Frage ist, ob das angesichts steigender Infektionszahlen von Dauer sein kann.

Icon: Der Spiegel

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