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Bund Länder und Kommunen vor der zweiten Corona-Welle: Was kann die Politik tun?

September 21
22:47 2020
Fußgängerzone in Köln vor wenigen Tagen Icon: vergrößern

Fußgängerzone in Köln vor wenigen Tagen

Foto: Marius Becker/ DPA

Die Reise ins schöne Budapest samt eines Stadionbesuchs für das Spiel gegen den FC Sevilla dürfte sich der eine oder andere Fan des FC Bayern München nun doch nochmal überlegen: Quarantäne für jeden bayerischen Rückkehrer, der am Donnerstagabend im ungarischen Corona-Risikogebiet in der "Puskas Arena" beim europäischen Supercup dabei ist, hat Ministerpräsident Markus Söder angekündigt. Auch, wenn man weniger als 48 Stunden in Budapest zugebracht haben sollte.

In München geht die Angst vor dem Virus um, zuletzt wurde die wöchentliche Obergrenze von 50 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner überschritten. Die bayerische Landeshauptstadt ist wegen der kritischen Inzidenzahlen jetzt Corona-Hotspot, genauso wie der Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg im Herzen Berlins, wo Teile der Generation U30 unverdrossen Party feiern, oder der niedersächsische Landkreis Cloppenburg.

Ganz verschiedene Orte. Und jenseits der Hotspots steigt die Infektionskurve auch im ganzen Land Tag für Tag immer weiter.

Dabei war das Wetter in den vergangenen anderthalb Wochen noch spätsommerlich schön. Viele haben sich draußen getroffen, auf der Terrasse, im Biergarten, im Park. Wie soll das erst ab Freitag werden, wenn laut Meteorologen der graue und kühle Herbst einzieht? Wenn sich das Sozialleben mehr und mehr in geschlossene Räume verlagert?

Immerhin: Das Bundesarbeitsministerium hat gerade auf Wunsch von Kanzlerin Angela Merkel eine "Empfehlung zum infektionsschutzgerechten Lüften" erarbeitet, dazu läuft im Wirtschaftsministerium ein Förderprogramm über 500 Millionen Euro für bessere Lüftungsanlagen.

Aber natürlich geht das nicht so schnell, natürlich wird das nicht reichen. Und deshalb ist an diesem Montag die politische Debatte neu eröffnet worden: Welche Maßnahmen können helfen? Wird es erneut starke Einschränkungen des öffentlichen Lebens geben? Was haben wir in den vergangenen Monaten gelernt?

  • Da ist vor allem Bayerns Ministerpräsident Söder. Der CSU-Chef hat einen Ruf als Anti-Corona-Hardliner zu verteidigen – und gleichzeitig in seinem Land akute Probleme. Deshalb wirkte er schon Ende vergangener Woche darauf hin, dass zum Bundesliga-Eröffnungsspiel der Bayern in München entgegen der ursprünglichen Planung keine Zuschauer ins Stadion durften. Das verantwortungslose Verhalten der Klub-Spitze auf der Ehrentribüne konnte er allerdings nicht verhinden. Nun also seine Quarantäne-Ankündigung.

  • Für die Stadt München brachte Söder eine Maskenpflicht auf öffentlichen Plätzen ins Gespräch. Am Montag verkündete die Stadt dann auch tatsächlich, dass ab Donnerstag eine Maskenpflicht auf bestimmen Plätzen und Straßen gelte, darunter der Marienplatz und der Viktualienmarkt. Zudem dürfen sich im öffentlichen Bereich dann nur noch Gruppen von maximal fünf Personen oder Personen zweier Haushalte treffen. Für private Feiern wie Geburtstage, Hochzeiten oder Beerdigungen gilt eine Höchstgrenze von 25 Menschen in geschlossenen Räumen und 50 Menschen bei Treffen im Freien.

  • Bundesgesundheitsminister Jens Spahn setzt auf den Ausbau der medizinischen Infrastruktur. Er will zahlreiche sogenannte regionale "Fieberambulanzen" auf den Weg bringen. Vorbereitet werden sollen Test-Möglichkeiten jenseits des normalen Praxisbetriebs, wie es sie schon im Frühjahr vielerorts gab. Es gelte sicherzustellen, dass sich nicht Menschen im Wartezimmer untereinander anstecken, so Spahn.

  • CDU-Ministerpräsident Armin Laschet will in Nordrhein-Westfalen seine "Corona-Bremse" umsetzen, im Zuge derer in Städten und Kreisen, in denen die Inzidenzzahl über 35 liegt, die örtlichen Behörden mit dem Landeszentrum Gesundheit und der jeweiligen Bezirksregierung sofort Gegenmaßnahmen abstimmen müssen. Wird auch noch der Wert von 50 Fällen überschritten, sind "zwingend zusätzliche Schutzmaßnahmen anzuordnen", wie es in der NRW-Corona-Schutzverordnung heißt. Immer in der Hoffnung, dass man auf diese Weise flächendeckende Lockdowns verhindern kann.

  • Kanzlerin Angela Merkel will in der kommenden Woche wegen der zunehmenden Corona-Hotspots in München und anderswo mit den Ministerpräsidenten über den weiteren Kurs beraten.

Die Hoffnung, das Infektionsgeschehen beherrschbar zu halten, indem die Bürger sich ohne weitere Regelungen verantwortungsvoll verhalten? Die ist wohl dahin. Die große Mehrheit der Deutschen, das zeigen Umfragen, sieht das Virus zwar als Bedrohung und unterstützt strenge Regeln – aber selbst aus dieser Gruppe scheinen sich längst nicht alle auch entsprechend im täglichen Leben zu verhalten.

Abstand, Maskenpflicht und sonstige Hygieneregeln unterlaufen nicht nur Corona-Leugner. Man kann das jeden Tag überall in Deutschland auf den Straßen, in den Restaurants und Bars beobachten.

In Sachsen-Anhalt gibt man sich noch entspannt

Der auch Corona-mäßig ziemliche entspannte Sommer, diesen Eindruck kann man bekommen, hat in Sachen Virus die Sorglosigkeit erhöht. Auch wenn die Mortalität aktuell unter den Zahlen der ersten Corona-Welle in Deutschland liegt, könnte sich das in den kommenden Monaten rächen, fürchtet man im Kanzleramt, dem Bundesgesundheitsministerium und manchen Länder-Staatskanzleien.

Allerdings nicht in allen.

Sachsen-Anhalts CDU-Ministerpräsident Reiner Haseloff etwa sieht beim Infektionsgeschehen in seinem Bundesland noch keinen Handlungsbedarf. "Die Infektionen in Sachsen-Anhalt gehen leicht nach oben, sind aber noch nachverfolgbar und aktuell kein Grund darüber nachzudenken, die Maßnahmen wieder zu verschärfen", sagte Haseloff dem SPIEGEL. "Sollten sich die Zahlen ändern, wären wir jederzeit in der Lage, die Maßnahmen auch wieder zu verschärfen."

Schon das hält man bei den sogenannten Querdenkern und ihren Verbündeten im Bundestag, der AfD, für übertrieben und Panikmache. Aber auch aus der FDP kommt Kritik an immer neuen Regeln. "Es gibt praktisch so gut wie keine nachgewiesenen Infektionen an der frischen Luft, deswegen bringt eine verschärfte Maskenpflicht auch nichts", sagte Fraktionsvize Michael Theurer dem SPIEGEL. "Das ist mal wieder Symbolpolitik von Herrn Söder."

Theurer, der auch FDP-Chef von Baden-Württemberg ist, weiter: "Wir erwarten, dass die Zahlen bedingt durch die Jahres- und Erkältungszeit nach oben gehen, aber deshalb über eine drastische Verschärfung der Maßnahmen nachzudenken, halte ich für unangemessen."

Grüne kritisieren mangelnde Strategie

Die Grünen dagegen kritisieren, dass sich die Strategie auf Bundesebene auf "Einzelmaßnahmen oder Einzelvorschläge von einzelnen Ministern beschränke", wie es Parteichefin Annalena Baerbock ausdrückt. Schon im Sommer hätte man eine umfassende Strategie erarbeiten müssen, beklagt sie – von einem "Pandemierat" ist die Rede, den die Grünen schon lange fordern.

Es müsse sichergestellt werden, dass "für die Fieberzentren von Herrn Spahn auch ausreichend Personal" zur Verfügung stehe – dafür bedürfe es mehr als des bloßen Aktionismus Einzelner, so Baerbock.

Grundsätzlich aber findet es die Grünen-Chefin richtig, dass das Augenmerk der Politik nun auf den gestiegenen Infektionszahlen ruht: Die drastischen Entwicklungen, die in manchen Nachbarländern zu sehen sind, müssten unbedingt verhindert werden.

EU will Fehler aus der ersten Welle vermeiden

Diese Entwicklungen sieht man auch in Brüssel: Die EU versucht alles, um auf eine zweite Corona-Welle weniger chaotisch zu antworten als auf die erste. An diesem Dienstag wird bei einem Treffen der Europaminister in Brüssel ein Papier der Bundesregierung auf dem Tisch liegen, die derzeit die EU-Ratspräsidentschaft innehat. Laut dem Fortschrittsbericht aus Berlin, der dem SPIEGEL vorliegt, sollen die Corona-Entscheidungen der Mitgliedsländer künftig auf gemeinsamen Daten basieren:

  • Das Europäische Zentrum für die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten (ECDC) soll dazu wöchentlich die Zahl der Neuinfektionen der vergangenen 14 Tage sowie die Testrate pro 100.000 Einwohner vorlegen – und auch, wie viele der Tests positiv ausgefallen sind.

  • Außerdem soll das ECDC Statistiken über die Lage in den Krankenhäusern und die Zahl der Todesfälle liefern.

  • Auf Basis dieser harmonisierten Daten sollen die Mitgliedsländer Entscheidungen über Gegenmaßnahmen treffen, die Öffentlichkeit will man mindestens 24 Stunden vor Umsetzung der Maßnahmen informieren.

Dass eine harmonisierte Datenbasis aber auch zu harmonisierten Entscheidungen führt, ist keineswegs sicher. Dies sei nur ein erster Schritt, heißt es aus EU-Kreisen. Denn sowohl das Infektionsgeschehen als auch die Situation in den Gesundheitssystemen seien von einem Mitgliedsland zum anderen teils stark unterschiedlich. "Das macht eine 'One Size Fits all'-Lösung schwierig", sagt ein EU-Diplomat.

Das muss man in Deutschland niemandem erzählen: Schon hier sorgt das föderale System dafür, dass die Bundesländer großen Wert auf ihre eigenen Ansätze auch im Kampf gegen Corona legen, nicht zuletzt mit Blick auf die mitunter sehr unterschiedliche Lage je nach Land.

Innerhalb der EU kommt hinzu, dass Gesundheitspolitik und Grenzschutz nach wie vor in der Verantwortung der einzelnen Mitgliedsländer liegen – die Kommission hat hier wenig zu sagen. Das räumt auch die Bundesregierung in ihrem Bericht ein.

Dennoch grassiert in Brüssel die Furcht vor neuen Grenzschließungen oder Lockdowns.

Es gebe "große Sorgen" über die rasant steigenden Infektionszahlen etwa in Frankreich oder Spanien, sagt der CDU-Politiker Peter Liese, gesundheitspolitischer Sprecher der EVP-Fraktion im Europaparlament. Und auch er glaubt: Selbst in Deutschland sei "ohne zusätzliche Maßnahmen eine starke Ausbreitung des Virus in den nächsten Wochen nicht zu vermeiden".

Icon: Der Spiegel

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